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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Jutefeld zirpten die Insekten. In einem weit entfernten Dorf bellte ein Hund.
    Jinjü lag halb ohnmächtig auf dem Boden. Beine und Füße waren geschwollen und taten weh.
    »Schlaf ruhig«, sagte Gao Ma. »Dieses Jutefeld ist mindestens fünftausend Morgen groß. Finden können sie uns nur, wenn sie Polizeihunde einsetzen. Schlaf nur.«
    Gegen Mitternacht wurde sie wach. Als sie die Augen aufschlug, sah sie den Himmel voller Sterne, die alle geheimnisvoll zwinkerten. Tauperlen lösten sich von den hohen Pflanzen und tropften, ein sanftes Platschen, auf die abgefallenen, verwelkt am Boden liegenden Juteblätter. Die Insekten zirpten noch lauter als vorhin. Es hörte sich an, als ob jemand mit einem Bambusplättchen Metallsaiten zupfte. Im Jutefeld erhob sich ein Geräusch wie das Rauschen des Meeres bei steigender Flut. Als sie klein war, hatte man sie einmal zum Baden ans Meer mitgenommen. Sie war am Strand entlanggegangen und hatte zugesehen, wie die langsam strömende Brandung über den Strand leckte und dabei dieses eigentümliche Rauschen von sich gab. Sie erinnerte sich noch an ein paar schwarze Felsen, die aus dem Wasser ragten. Weiße Segel am Horizont schienen sich manchmal zu bewegen, manchmal stillzustehen. Sie hatte hinausgeblickt auf das Meer, bis ihr schwindlig geworden war. Sie sah hinauf zum schwarzblauen Himmelszelt und stellte fest, daß es sich drehte. Im Jutefeld liegend, hatte sie das Gefühl, in einem Boot dahinzutreiben. Bootfahren mußte ein ähnliches Gefühl erzeugen. Der bittere Geruch der Jute vermischte sich mit dem Geruch nasser Erde. Zwei Nachtvögel zerteilten den Himmel. Klar und deutlich hörte sie das Flattern ihrer Flügel und ihre eigentümlichen Schreie, die den dünnen Nebel wie Pfeilspitzen durchdrangen und im Jutefeld niedergingen. Sie wollte sich umdrehen, aber ihr Körper war zu schwer, ihre Arme und ihre Beine waren steif. Das Jutefeld war voller Geräusche. Unzählige geheimnisvolle Tiere schienen darin herumzuschleichen. Phosphoreszierende Augenpaare leuchteten tief in der Jute. Sie bekam Angst.
    Sie nahm alle Kraft zusammen und richtete sich auf. Die Herbstnacht war so schneidend kalt, daß ihre der feuchten Luft ausgesetzten Glieder sich taub anfühlten. Plötzlich fiel ihr ein, daß ihre Mutter einmal erzählt hatte, man könne den Aussatz bekommen, wenn man draußen auf dem Feld schliefe und sich Bodenfeuchtigkeit aussetzte.
    Mutters Gesicht schwankte vor ihren Augen. Sie vermißte auf einmal ihr warmes Ofenbett, das Geräusch der im Gebälk herumhuschenden Mäuse, das Zirpen der Grille in der Zimmerecke, das Murmeln ihres im Schlaf redenden großen Bruders und das Schnarchen des jüngeren im Nebenzimmer. Am meisten aber vermißte sie ihr nach Rauch und Asche riechendes Ofenbett.
    Die Ereignisse des Tages gingen ihr noch einmal durch den Kopf, und die Geschehnisse der Vergangenheit kehrten wieder. Sie hatte Angst vor der Nacht und sie hatte Angst vor dem kommenden Tag. Sie empfand sich selbst als lächerliche Figur, und sie haßte Gao Ma.
    Gao Ma saß drei Schritte von ihr entfernt. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Sie entdeckte, daß das Funkeln der Sterne einen grünen Widerschein auf den Blättern und Stengeln der Jute fand. Gao Ma hatte die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und den Kopf auf die Arme gelegt. Er saß völlig unbeweglich da. Nicht einmal sein Atem war zu hören, er wirkte wie eine Steinfigur. Er war unendlich weit von ihr entfernt. Sie fühlte sich unsagbar einsam. Die grünen Augen ringsum kamen immer näher, und das Geräusch spitzer Krallen auf welkem Laub knisterte immer lauter in ihren Ohren. In ihrem Rücken spürte sie einen Eishauch. Eine behaarte Schnauze berührte ihren Hals. Vor Schreck schrie sie laut auf.
    Gao Ma sprang auf und rannte wie ein kopfloses Huhn im Kreis herum. Die Jute raschelte, feine grüne Lichtpunkte huschten über seinen Körper: »Was ist los? Was hast du?«
    Das ist ein Mann, dachte sie, und kein eiskalter Steinblock. Sie spürte die Wärme seines Körpers. Der Eishauch in ihrem Rücken trieb sie in seine Arme.
    »Liebster, ich habe Angst, ich friere so.«
    »Du mußt keine Angst haben, Jinjü, hab keine Angst.«
    Er hielt sie ganz fest. Die Kraft seiner Arme rief in ihrem Körper Erinnerungen wach. Vor einem Jahr hat er mich genauso fest umarmt und mit seinen Bartstoppeln meine Lippen gekitzelt. Aber jetzt hatte sie weder Lust noch Kraft, auf die Herausforderung seiner Lippen zu reagieren. Sein

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