Die Knoblauchrevolte
Stengel, dunkelrot oder hellgelb, standen kerzengerade. Die aufgehende Sonne sandte hellrote Strahlen schräg in die Jute und beleuchtete Gao Mas Gesicht. Es wirkte abgezehrt, aber heiter. In seinen Augen lag ein Ausdruck unverhohlener Freude. Sie hatte das Gefühl, sich keinen Augenblick von ihm trennen zu können. Die Kraft seines Körpers zog sie so stark an, daß sie ihre Augen nicht von ihm lösen konnte. Wenn sie an die vergangene Nacht dachte, klopfte ihr Herz heftiger, und das Blut stieg ihr ins Gesicht. Sie gab alle Zurückhaltung auf und warf sich erneut in seine Arme. Sie biß ihn spielerisch in den Hals und schlürfte gierig ihren Speichel, der durch den Schmutz und Schweiß seiner Haut einen salzigen Geschmack bekam. Ihre Zähne packten seine dicke Halsschlagader, in der sie seinen kräftigen Puls spürte. Dieser stürmische Pulsschlag machte ihr Herz wie trunken, und sie verlor völlig die Beherrschung. Sie biß, sie leckte, sie saugte daran. Sie hatte das Gefühl, daß sich ihre inneren Organe wie frische Blüten öffneten. »Liebster Gao Ma«, sagte sie, »selbst wenn ich dafür sterben müßte, ich bedauere nichts.«
Die Tauperlen rollten von den Blättern. Die nassen Jutestengel glänzten wie mit Öl bestrichen. Die feuchte Luft stieg von der Erde auf und verdampfte. Der rotgoldene Sonnenschein verblaßte ins Weißliche. Hinter ihnen begann eine Wachtel zu rufen, mit langgezogenen, dumpfen Lauten, die klangen, als hätte der Vogel den Schnabel in den Boden gesteckt, um seinen Schrei zu dämpfen. Im Dickicht vor ihnen erwiderte eine zweite Wachtel diese Rufe. Die Morgenluft schien zu stehen. Die Jute war wie erstarrt und glich reglosen Korallen in einem Meer von Rot.
Gao Ma machte sich los. »Wir müssen etwas essen.«
Sie lächelte zart und lehnte sich zurück. Über Gao Mas Gesicht schwebten grüne und goldene Lichtreflexe. Ihr Bewußtsein konzentrierte sich ganz auf eine geheime Stelle tief in ihrem Kopf. Dort erklang das Rauschen der Flutwelle, fern und geheimnisvoll. Sie wünschte sich, für immer in diesem Zustand zu bleiben. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, ja nicht einmal zu atmen, und die Lichtreflexe hielten still, unruhig zitternde Quecksilberperlen, die jederzeit wegrollen konnten.
»Na los, steh auf, iß etwas.« Gao Ma ergriff ihre Hand und schüttelte sie. Die Quecksilberperlen stoben in alle Richtungen davon. Vor ihren Augen stand die Jute im Sonnenschein, und der Anblick machte sie mißmutig, aber sie hatte keinen Grund, Gao Ma böse zu sein.
Gao Ma nahm aus seinem Bündel ein paar Mehlpfannkuchen und eine Handvoll Knoblauchstengel, deren verwelkte Enden er abbrach, so daß nur die grüne Mitte übrigblieb. Sechs Stengel wickelte er in einen Pfannkuchen und überreichte ihn Jinjü.
Sie schüttelte den Kopf. Sie war noch in das Glücksgefühl von eben versunken und versuchte es festzuhalten. Der stechende Knoblauchgeruch störte sie. Er war ihr schon lange verhaßt.
»Iß schnell«, sagte Gao Ma, »nach dem Essen machen wir uns auf den Weg.«
Zögernd nahm sie den Pfannkuchen entgegen, wartete aber, bis Gao Ma in seinen biß, ehe sie zaghaft von ihrem probierte. Der Pfannkuchen war so hart wie ein gefrorener Wischlappen. Gao Mas Backenmuskeln arbeiteten mit mahlender Bewegung. Das Krachen der rohen Knoblauchstengel machte auch ihr Appetit, und sie biß kräftig zu. Es knackte, wie wenn ein Messer Bambus spaltet. Ihr Mund füllte sich mit Speichel, doch der Knoblauch fühlte sich noch immer unerträglich roh, kalt, glatt und bitter an.
Gao Ma schlang wie ein Wolf. Er atmete schwer beim Essen und ließ einen lauten Furz. Angewidert drehte sie das Gesicht zur Seite und warf ihren Pfannkuchen auf das blaue Bündel. Die Teigrolle öffnete sich, und die Knoblauchstengel kamen zum Vorschein.
»Was ist los mit dir?« fragte Gao Ma besorgt. Zwischen seinen weißen Zähnen klebten noch grüne Knoblauchfasern.
»Es ist nichts. Iß du nur«, sagte sie leise. Der Knoblauchgeruch aus seinem Mund machte ihr wieder bewußt, welche Kluft zwischen ihnen bestand. Gao Ma aß schnell seinen Pfannkuchen auf, rollte den von ihr weggeworfenen wieder zusammen und sagte:
»Wenn du nichts ißt, macht das auch nichts. Wenn wir in die Kreisstadt kommen, kaufe ich dir etwas Schönes zu essen.«
»Wohin gehen wir?« fragte sie beunruhigt.
»Unser erstes Ziel ist die Kreisstadt Cangma, von dort nehmen wir den Langstreckenbus nach Lanji. In Lanji steigen wir um in die Bahn nach Nordosten. Deine
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