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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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sagte er: »Benimm dich, sonst hole ich die Wache und lasse dir Handschellen und Fußfesseln anlegen.«
    Der junge Gefangene zog den Kopf ein und floh zu seiner Pritsche zurück. Übertrieben devot rief er: »Beamter, Beamter! Großonkel, Großonkel! Ich bin ganz friedlich, schau nur, ich bitte um Verzeihung.«
    »Leck mich am Arsch, du Idiot!« blaffte der Wärter. Sein Gesicht verschwand vom Fenster.
    Gao Yang hörte den lauten Hall der Lederstiefel des Wärters auf dem Flur, der endlos lang zu sein schien. Nach dem Verlassen des Polizeiwagens war Gao Yang von den Genossen Polizisten in ein eisengrau gestrichenes Zimmer geführt worden. Dort hatte ihm ein alter Polizist viele Fragen gestellt und schließlich erklärt: »Ab heute bist du Nummer neun.« Dann ging er über diesen langen Flur, er ging vorbei an vielen eisernen Türen mit vergitterten Fenstern, hinter denen sich grauweiße Gesichter bewegten. Diese Gesichter wirkten wie aus dünnem weißem Papier ausgeschnitten, das man durch bloßes Anpusten zerreißen konnte.
    Gao Yang erinnerte sich noch schwach daran, daß der pferdegesichtige junge Mann von zwei Polizisten aus dem Auto gehoben worden war. Sein Kopf war immer noch in die weiße Uniformjacke gewickelt. Dann brachte man eine Bahre, und der junge Mann wurde weggetragen. Gao Yang versuchte sich vorzustellen, was weiter mit dem Pferdegesichtigen geschah. Aber je mehr er nachdachte, desto unklarer wurde ihm alles. Deshalb hörte er auf, sich darüber Gedanken zu machen.
    In der Zelle war es dunkel. Der Boden war grau, die Wände waren grau, das Bett war grau, und die Waschschüsseln waren grau. Die tief im Westen stehende Sonne warf ein Lichtband durch die Fenstergitter, das die graue Zellenwand rot färbte. Draußen war nur ein blauer Kran mit einem viereckigen Glashäuschen zu sehen, dessen Scheiben im Sonnenlicht glänzten. Ein Schwarm Tauben, weiß und rotgold, huschte vorbei. Der sirrende Ton der an ihren Füßen befestigten Pfeifen erschreckte Gao Yang. Der sich entfernende Taubenschwarm machte kehrt und kam, von dem gleichen Sirren begleitet, zurückgeflogen.
    In diesem Augenblick stürzte sich ein buckliger alter Mann auf Gao Yang, berührte ihn mit zitternden Fingern und rief mit spitzer Stimme: »Zigaretten, Zigaretten! Neuling, hast du keine Zigaretten?«
    Gao Yang trug nur eine kurze Hose und war am Oberkörper und an den Beinen nackt. Als die klebrigen und stinkenden Finger des alten Mannes über seine Haut fuhren, bekam er eine Gänsehaut. Er hätte am liebsten laut geschrien.
    Der Alte begriff, daß es nichts zu holen gab, ging enttäuscht weg und rollte sich auf seiner Pritsche zusammen. Ein Mann, der Gao Yang gegenübersaß, fragte lässig: »Kumpel, weshalb haben sie dich eingelocht?«
    In der Dunkelheit konnte er das Gesicht des Fragenden nicht klar erkennen, aber er hatte den Eindruck, daß er einen Mann in mittleren Jahren vor sich hatte. Der Mann saß auf dem Zementfußboden, sein großer Kopf lehnte an der grauen Pritschenkante. Gao Yang war unbehaglich zumute, und er murmelte: »Ich weiß nicht, gegen welches Gesetz ich verstoßen habe.«
    »Willst du etwa behaupten, sie haben dir was angehängt?« fragte der Mann mittleren Alters kalt.
    »Das habe ich nicht gesagt«, rechtfertigte sich Gao Yang.
    »Quatsch!« Der Mann hob einen großen dicken schwarzen Finger und sagte böse: »Du kannst mir nichts vormachen. Du bist wegen Vergewaltigung dran.«
    »Ich doch nicht«, widersprach Gao Yang beschämt, »ich habe Frau und Kinder, wie könnte ich so etwas tun?«
    »Dann bist du bestimmt ein Dieb!«
    »Ich bin kein Dieb«, erwiderte Gao Yang wütend. »Ich habe in vierzig Jahren noch nicht mal eine Nadel gestohlen.«
    »Dann, dann bist du ein Mörder.«
    »Wenn hier einer ein Mörder ist, dann du.«
    »Ich wollte allerdings einen kaltmachen«, sagte der Mann, »aber ich habe den Kerl einfach nicht totgekriegt. Ich habe ihm den Knüppel über den Kopf gezogen, aber er war nur verletzt. Sie sagen, er hatte eine Gehirnerschütterung. Quatsch! Seit wann kann man einem das Gehirn erschüttern?«
    Ein schrilles Pfeifen im Flur unterbrach ihr Gespräch.
    »Essen fassen«, schrie eine heisere Stimme im Korridor. »Raus mit den Schüsseln.«
    Der alte Mann, der Gao Yang betatscht hatte, holte zwei graue Emailleschüsseln unter dem Bett hervor und schob sie durch eine viereckige Klappe in der unteren Hälfte der Eisentür nach draußen. In der Zelle wurde es auf einmal so hell, daß das Licht die

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