Die Knoblauchrevolte
hinüber.
»Beamtinnen, tut mir einen Gefallen und schenkt mir eine Tomate!« wiederholte der junge Häftling.
»Ich schenke dir eine, wenn du mich Großtante nennst«, sagte die kleine Aufseherin mit den Sommersprossen.
»Großtante!« rief der Junge, ohne zu zögern.
Zuerst überrascht, schüttete die sommersprossige Aufseherin sich gleich darauf aus vor Lachen.
Die anderen hänselten sie: »Jetzt mußt du deinem Neffen eine Tomate schenken.«
Die sommersprossige Aufseherin richtete sich auf, wählte aus dem Bambuskorb eine große, halbreife Tomate aus, zielte sorgfältig und warf. Die Tomate traf eine Stahlstange, prallte einen halben Meter zurück und blieb vor dem Käfig liegen.
»Dummkopf«, kommentierte eine Wärterin, die so mager wie eine Fischgräte war.
Die Aufseherin mit den Sommersprossen nahm noch eine hellrote Tomate auf und schleuderte sie mit aller Kraft auf den jungen Häftling. Die Tomate flog durch das Eisengitter und fiel auf den Betonboden.
Wie ein Bienenschwarm stürzten sich die Häftlinge darauf. Gao Yang konnte nicht erkennen, in wessen Händen die Tomate landete. Er hörte nur das irre Geschrei.
»Scheiße«, schimpfte der junge Häftling, »die hat meine Tante für mich bestimmt. Der Tiger reißt die Beute, und der Bär frißt sie auf«
Niemand wußte, in wessen Magen die Tomate gelandet war. Die Häftlinge rüttelten an den Eisenstangen und schauten nach draußen.
»Großtante«, bettelte der junge Häftling, »gib mir noch eine, Großtante!«
Die Gefangenen schrien wirr durcheinander. Einige riefen »Großtante«, andere schrien »Große Schwester«, und den Mann mittleren Alters hörte Gao Yang bösartig schimpfen: »Fick deine Großtante!«
Die Aufseherinnen warfen eine Tomate nach der anderen in den Käfig. Die Häftlinge schrien, schimpften und rissen sich wie tolle Hunde darum. Mal bildete sich hier ein Getümmel, mal klumpte sich dort ein Haufen zusammen. Es ging drunter und drüber. Von beiden Enden des Flurs kamen die Wachposten mit ihren Gewehren angelaufen, und aus den Büros jenseits des Eisenkäfigs kamen Aufseher gerannt, die im Laufen ihre Gewehre durchluden. Die Beamten traten mit ihren Stoffschuhen auf das Durcheinander von Hinterteilen und Beinen ein.
Ein schriller Pfiff gellte.
»Alles zurück«, rief ein Aufseher, »alles zurück in die Zellen!«
Im Gänsemarsch drängten sich die Gefangenen durch die kleine Eisentür in der Mauer. Gao Yang war der letzte. Kaum war er drin, schlossen die Aufseher die Tür zu. Die Pause war zu Ende.
Der Eisenkäfig, das Gemüsefeld, die hohe Mauer, der Stacheldraht, alles war hinter ihm zurückgeblieben. Von draußen zurück, spürte man erst, wie eng der Flur war. Auf der anderen Seite der Mauer stritt ein Mann mit den Aufseherinnen. Die kleine Beamtin mit den Sommersprossen hatte eine schrille Stimme, die man leicht heraushören konnte.
4
Die Rückkehr in die Zelle war wie der Eintritt in eine Höhle. Die Dunkelheit trübte einem nicht nur die Augen, sondern auch das Gehör. Nur der Geruchssinn blieb aufnahmefähig für den schimmligen, fauligen Gestank, der einen schier umwarf.
Der Mann mittleren Alters sagte mit gedämpfter Stimme: »Neuling, steh auf.«
»Großer Bruder«, fragte Gao Yang ängstlich, »was willst du von mir?«
Der Mann mittleren Alters lächelte tückisch: »Haben die Nudeln geschmeckt?«
»Recht gut«, antwortete Gao Yang beschämt.
»Habt ihr das gehört? Er sagte, sie haben recht gut geschmeckt.«
»Was gut schmeckt, ist schwer verdaulich«, erklärte der Junge.
»Du hast alles allein gegessen!« Der alte Häftling stürzte sich auf Gao Yang und zerrte ihn an den Haaren.
Der Mann mittleren Alters stieß den Alten beiseite und drängte Gao Yang Schritt für Schritt nach hinten, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Angstvoll blickte er in Richtung der Zellentür mit dem vergitterten Fenster.
»Wenn du schreist, erwürge ich dich«, sagte der Mann mittleren Alters. »Du schwanzwedelnder, arschleckender Hund.«
»Großer Bruder, verzeih mir.«
»Aus was für Mehl waren die Nudeln gemacht, die du gegessen hast?«
Er schüttelte den Kopf.
»Es waren geflochtene Nudeln. Wer geflochtene Nudeln ißt, bekommt die Faust ins Sonnengeflecht.« Der Mann mittleren Alters winkte den anderen zu. »Kommt, jeder drei Schläge, bis er kotzt.«
Der junge Häftling ballte die Faust und versetzte Gao Yang rasch hintereinander drei Schläge in den Solarplexus.
Gao Yang schrie vor Schmerz auf. Als er
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