Die Knochenfrau
seiner Fotofalle erwischt hatte, war er selbst.
Regungslos saß Lukas vor dem Computer und starrte die letzten Bilder an. Er suchte auf den Aufnahmen den Bildhintergrund ab, fand aber nichts, das wie ein Mensch oder ein Tier aussah. Schließlich gab er es auf. Da war nichts … vielleicht war auch nur die Bildqualität zu beschissen. Er ging in die Küche und machte sich Frühstück. Nichts Besonderes, nur Toast mit Käse und Kaffee. Den stinkenden Klumpen, in den sich über Nacht sein Blut verwandelt hatte, entsorgte er in der Spüle. Mit einer Kuchengabel drückte er die Masse durch das Abflusssieb und drückte Spülmittel hinterher.
Unter der Dusche sah Lukas sich dann seinen linken Arm an und war stolz auf sich. Die Einstichstelle sah gut aus, überhaupt nicht entzündet. Er hatte einen kleinen bläulich-violetten Bluterguss rund um den Einstich, etwa so groß wie ein Kronkorken. Aber das war normal, das bekam er auch, wenn ihm eine Arzthelferin Blut abnahm. Lukas streckte und beugte seinen linken Arm, er spannte die Muskeln und machte eine Faust. Es fühlte sich alles normal an, so schlimm war das mit dem Blutabnehmen überhaupt nicht.
*
Kurz nach acht saß Lukas in seinem Wagen. Er fuhr eine Runde durch den Ort, fuhr an seiner alten Schule und am Vereinsheim des Fußballclubs vorbei. In diesen scheiß Club wollte sein Vater ihn damals immer zwingen: „Pass dich an Lukas, integrier dich. Wenn wir hier akzeptiert werden wollen, dann müssen wir uns integrieren.”
Aber alle Integrationsbemühungen hatten nicht geholfen, sie waren und blieben „Die Russen”. Letztlich hatte auch sein Vater kapituliert.
Lukas gab Gas und ließ das schäbige Gebäude hinter sich. Warum zum Teufel hingen eigentlich diese alten Wagenräder neben der Eingangstür? Hatten die was zu bedeuten? Oder standen diese Provinzler ( Ich bin ja eigentlich selbst einer , dachte Lukas) einfach auf verwesende Wagenräder, die sie an irgendwelche Vereinsheime hängen konnten? Lukas zündete sich eine Zigarette an und beschloss, die Beantwortung dieser Frage hintanzustellen.
Zehn Minuten später war die Zigarette geraucht und Lukas war an der Stelle, an der gestern noch alles abgesperrt war. Jetzt war nichts mehr abgesperrt, es standen auch keine Polizeiautos mehr herum. Lukas parkte seinen Wagen etwa dreißig Meter weiter auf dem Bürgersteig und ging zu dem kleinen Pfad, der in den Wald führte. Er hatte erwartet, spätestens hier irgendeine Absperrung vorzufinden, schließlich war das ein Tatort. Aber nichts dergleichen, nur Fußabdrücke im Schotter.
Lukas lief ungehindert in den Wald hinein, kam an einem Holzstoß vorbei, lief weiter, kam an zwei gelben Schildern vorbei, die im Boden steckten und von denen er nicht wusste, was sie markierten, und erreichte schließlich eine kleine Lichtung. Hier musste es passiert sein, hier hatte es den Jungen erwischt. Das Gras war zertreten und im Boden steckten noch mehr von diesen kleinen gelben Schildchen. Darauf Nummern, irgendetwas von der Spurensicherung. Komisch nur, dass jeder einfach hier rein spazieren konnte. Er hätte die Schilder einfach umstecken oder mitnehmen können.
Lukas ging die Lichtung ab, sie war nur etwa drei mal vier Meter groß. Er versuchte herauszufinden, wo es passiert war, wo genau der Junge getötet worden war. Gebückt schlich er über die Lichtung und schon bald fand er dunkle Blutspuren im Gras. Es war wirklich unglaublich, dass er einfach hier herum spazieren durfte. Das konnte doch nur ein Fehler der Dorfpolizei sein. Obwohl … war die überhaupt zuständig?
Lukas zog seine Digitalkamera aus dem Rucksack, legte den Ersatzakku ein und machte einige Übersichtsfotos der Lichtung. Dann fotografierte er die gelben Schildchen, von denen er nicht wusste, welche Funktion sie hatten. Schließlich versuchte er, die Blutspuren zu fotografieren, aber wenn er zu nahe heran ging, dann wurden die Aufnahmen unscharf. Wenn er sie aus der Entfernung aufnahm, dann waren die Spuren auf den Bildern kaum noch zu erkennen. Nach einigen Versuchen gab Lukas es auf. Er blieb noch eine halbe Stunde auf der Lichtung, sah und hörte aber nichts Außergewöhnliches. Also ging er wieder zurück zur Straße.
Als Lukas etwa die Hälfte des Weges hinter sich hatte, blieb er abrupt stehen und glitt mit seinem linken Arm aus dem Träger des Rucksacks. Er drehte sich den Rucksack auf die Seite und zog vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, das große Küchenmesser heraus, das er sich
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