Die Knochenfrau
großen Flachbildschirm lief eine amerikanische Sitcom, das Licht war an und der Wind pfiff ums Haus. Lukas machte den Fernseher aus, ging nach oben, zog sich aus, wickelte sich in die Decke und umarmte das nach Mottenkugeln und Weichspüler riechende Kissen.
Als er zum zweiten Mal aufwachte, da war es kurz nach vier. Er setzte sich im Bett auf und schaltete die Nachttischlampe an. Immer noch pfiff der Wind um das Haus. Lukas sah sich im Halbdunkel des kleinen, schrägen Zimmers um und entdeckte etwas an der gegenüberliegenden Wand. Gleich neben dem Lichtschalter saß eine große schwarze Spinne, die behaarten Beine fast fingerlang. Lukas merkte, wie es ihm kalt den Rücken herunterlief. Er hatte diese Viecher schon als Kind gehasst und das hier war das verdammt nochmal größte Exemplar, das er jemals gesehen hatte. Er überlegte, wie er das Tier einfangen und an die Luft setzen konnte. Er griff zu dem Wasserglas auf dem Nachttisch und merkte, dass ihm ein wenig übel war. Es war stickig in dem Zimmer, vielleicht war der Sauerstoff verbraucht. Die ganze Zeit hielt er seinen Blick auf die langbeinige Spinne an der Wand gegenüber gerichtet, nicht dass sie plötzlich weglief, sich irgendwo im Zimmer versteckte und er sie suchen musste.
Lukas trank das Glas aus und wollte gerade aufstehen, als er etwas bemerkte. Der Körper des Tieres sah plötzlich verändert aus … fett, aufgedunsen. Und dann sah Lukas wie aus dem schwarzen Leib zwei kleine, weißlich schimmernde Klumpen wuchsen. Lukas schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Vielleicht war das nur ein Traum, vielleicht schlief er noch. Als er die Augen wieder öffnete, da sah er, dass sich die beiden weißen Klumpen zu entfalten begannen. Aus dem Körper der Spinne wuchsen zwei große, durchsichtige Libellenflügel. Lukas saß mit offenem Mund da, als die Spinne sich von der Wand abstieß und mit hängenden Beinen auf ihn zuflog. Sie flog einen schnellen Zickzackkurs, schon war sie bei Lukas. Dieser schrie auf und schlug nach dem schwarzen, flatternden Ding vor seinem Gesicht. Aber er traf nicht, sie war zu schnell. Er wich zurück, nahm abwehrend beide Hände vors Gesicht und warf sich zur Seite. Hart schlug er sich den Schädel an der Dachschräge über dem Bett, kurz war er benommen, ihm wurde schwarz vor Augen. Als er wieder klar sah, da schwebte das schwarze Tier etwa dreißig Zentimeter vor ihm in der Luft, die langen Beine bewegten sich, als würden sie laufen. Lukas sah die Klauen am Kopf des Tieres, wieder schlug er nach der fliegenden Spinne … und schlug ins Leere. Das Ding war verschwunden, ganz plötzlich verschwunden.
Als sich Lukas im Zimmer umsah, da saß die Spinne wieder an der Wand neben dem Lichtschalter … ohne Flügel … nur eine ungewöhnlich große Winkelspinne. Lukas sprang auf, stürmte auf die Wand zu und tötete die Spinne mit einem Faustschlag. Sie versuchte noch zu entkommen, schaffte es aber nicht. Lukas riss das Dachfenster auf und schrie in den Wind und in die Dunkelheit: „DU VERDAMMTES FEIGES SCHEISSVIEH, ICH KRIEG DICH! ICH MACH DICH FERTIG! ICH HAB KEINE ANGST VOR DEINEN BESCHISSENEN TRICKS!
Er streckte seine Faust in den kalten Wind, an der der zerquetschte Körper der großen Spinne hing und sagte leise:
„Du kannst mir nichts tun, du hast nur deine blöden kleinen Tricks. Du bist zu schwach, du konntest damals nicht einmal meinen kleinen Bruder überwältigen. Ich krieg dich und wenn es Jahre dauert.”
Als er das gesagt hatte, da schloss Lukas das Fenster, ging hinaus ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf. Sein Schädel pochte und er schämte sich vor sich selbst. Er hatte wie ein kleines Kind reagiert, hatte versucht, sich gegen eine fliegende Spinne zu wehren, die doch nur ein blöder, alberner Geisterbahntrick war. Und dann hatte er heldenhaft ein Tier zu Tode geboxt, das doch nur an der Wand saß und keinem was tat. „Was bin ich nur für ein großer Held”, sagte Lukas leise zu sich selbst, während er sich die bräunlich-gelben Spinnenreste von der Hand wusch. Er überlegte, sich das Messer zu schnappen, hinaus in die Dunkelheit zu gehen und das Umfeld des Hauses zu erkunden. Aber er hatte keine Hoffnung, es zu finden, dieses Wesen, das ihm gerade einen seiner beschissenen Tricks gezeigt hatte. Schon zu viel Zeit hatte er verstreichen lassen, wenn wieder so etwas passierte, dann musste er schneller sein.
Der kurze Rest der Nacht verlief ohne Halluzinationen oder andere Zwischenfälle. Um sieben
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