Die Knochenfrau
Uhr klingelte der Wecker, Lukas setzte sich im Bett auf und betrachtete im Halbdunkel den Fleck neben dem Lichtschalter. Ein einsames Beinchen hing an der Raufasertapete.
*
Lukas saß beim Frühstück, als sein Telefon klingelte. Er legte sein Marmeladenbrot weg und drückte die Taste mit dem grünen Telefonhörer.
„Ja, hallo?”
„Hier ist Nadine. Bist du gerade beim Frühstück?”
„Ja”, sagte Lukas und schluckte einen Bissen herunter, „aber ich bin sowieso fertig.”
„Okay, also … wegen gestern. Ich denke nicht, dass du etwas mit dem Tod des Jungen zu tun hast. Aber du solltest mir erklären, warum du dich so seltsam verhältst. Das ist ein kleiner Ort und die Leute reden schon über dich, manche kennen dich noch von früher. Du hast mir übrigens nicht erzählt dass du dich vorgestern mit der Dorfjugend geprügelt hast.”
„Ich hab mich nicht geprügelt”, antwortete Lukas, „ich hab nur einem Mädchen geholfen, das von deiner sogenannten Dorfjugend bedroht wurde.”
„Okay, wie auch immer … hast du Lust auf ein zweites Frühstück?”
„Musst du nicht arbeiten? Oder fällt das unter Arbeit?”
„Nö, das fällt unter privat. Wo wohnst du?”
„Weißt du noch, wo ich früher gewohnt habe?”
„Ja, im Tannenweg … ganz hinten.”
„Genau, und jetzt bin ich im Haus nebenan … bei den Schneiders. Ist ein kleines, quadratisches Haus, und davor steht ein wunderschöner alter Golf.”
„Okay, ich komm in einer halben Stunde vorbei. Ich bring frische Brötchen mit.”
Lukas wollte noch etwas sagen, aber Nadine hatte schon aufgelegt. Er speicherte ihre Nummer und überlegte, was er ihr erzählen sollte. Schließlich wollte er nicht als Verrückter dastehen, der irgendwelchen Gespenstern hinterher jagte. Andererseits … vielleicht war es doch das Beste, alles auf den Tisch zu legen und dann sie entscheiden zu lassen. Nadine war nicht engstirnig, sie tat nicht gleich alles als Blödsinn ab, was sich seltsam anhörte. Als Lukas noch überlegte, da klingelte es schon an der Tür. Lukas kannte den Ton, es war derselbe wie damals. Die Schneiders hatten wirklich nichts verändert. Lukas öffnete und Nadine sah gut aus ohne ihre Uniform.
„Du bist zu früh.”
„Was 'ne charmante Begrüßung, koch lieber mal Kaffee.”
Während Lukas die Kaffeemaschine neu füllte, fand Nadine einen Korb, legte die Brötchen hinein und stellte das Ding auf den Küchentisch.
„Hast du was zum drauflegen?”
„Wie zum drauflegen?”
„Na auf die Brötchen. Käse oder so.”
„Hab ich.”
Fünf Minuten später war der Küchentisch gedeckt. Nadine und Lukas saßen sich gegenüber. Schweigend beschmierten sie ihre Brötchen mit Erdbeermarmelade. Vor ihnen dampfte der Kaffee.
„Okay, dann erzähl mir mal, was du hier machst.” Nadine legte ihr Brötchen auf den Teller, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„Also ...”, fing Lukas an, „ich hab mir vorhin überlegt, was ich dir erzählen kann, ohne dass du mich für völlig verrückt hältst. Und dann hab ich mir gedacht, ich erzähle einfach alles, was ich weiß und scheiß drauf, was du von mir denkst.”
„Hört sich vernünftig an. Dann mal los.”
„Also … wie gesagt … ich fang einfach mal damit an, wie ich hergekommen bin. Ich hab vor ein paar Tagen einen Anruf bekommen, aus dem Klinikum Freiburg. Da lag die Frau Schneider, meine ehemalige Nachbarin. Ihr Mann ist ja gestorben und sie selbst ist fast-”
„Ich kenn die Geschichte”, unterbrach ihn Nadine. „Das hier ist ein kleiner Ort und ich bin bei der Polizei.”
„Gut, jedenfalls hat sie mich gebeten, hierher zu fahren und etwas fortzuführen, was die Schneiders über Jahrzehnte gemacht haben.”
„Die Sache mit dem Blut?”
Beinahe hätte Lukas seine Tasse umgeworfen.
„Scheiße … du weißt das alles?”
„Ja, ich habe selbst mit Herrn Schneider gesprochen. Er war vor ein paar Jahren bei uns und hat eine Geschichte von irgendeinem Monster erzählt, das im Wald wohnt. Und diesem Monster müsse man Blut opfern, sonst tötet es Kinder. Total wirres Zeug, irgendwelche Wahnvorstellungen, kein Wunder bei seiner Situation, da muss man ja fast durchdrehen.”
Nadine sah Lukas in die Augen. Er hielt ihrem Blick stand und sagte nichts. Nadine hatte auf Worte der Zustimmung gewartet, doch Lukas stimmte ihr nicht zu.
„Sag bloß, du glaubst auch an irgendwelche Monster im Wald?”
„Nun ja-” begann Lukas. Sie unterbrach ihn.
„Und jetzt
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