Die Knochenfrau
Blätter durch hatte.
„Das Ding heißt also „Die dürre Frau”?”
„So wurde dieses Wesen zumindest früher genannt, also in irgendwelchen alten Aufzeichnungen, „Die dürre Frau” und „Die Knochenfrau”. Ich hab im Internet auch was über ein „Knochenweib” gefunden, das angeblich hier im Schwarzwald sein Unwesen treibt. Und mein Bruder hat damals erzählt, dass ihn im Wald eine dünne Frau packen wollte. Leider hab ich nicht mehr aus ihm rausbekommen, der spricht da bis heute nicht drüber, der macht sofort dicht. Aber wie auch immer … der Name ist ja egal, wichtig ist doch nur, dass es schon sehr lange Berichte von so einem Wesen gibt und dass hier in der Gegend mehr Kinder getötet werden als anderswo … das müsstest du als Polizistin doch wissen.”
Nadine stöhnte auf,verdrehte die Augen und schob die Blätter von sich weg.
„Du weißt schon, dass sich das alles total irre anhört, oder?”
„Klar weiß ich das, deshalb erzähl ich es ja auch keinem außer dir. Und ich verlange auch nicht, dass du mir glaubst. Hör mir einfach zu und bild dir selbst deine Meinung. Noch mal zu dem Blut: Ich habe keine Ahnung wie das funktioniert. Vielleicht funktioniert es auch überhaupt nicht. Vielleicht war das nur Zufall, dass in der Zeit, in der die Schneiders das mit dem Blut gemacht haben, nichts passiert ist. Ich hab wirklich keine Ahnung. Allerdings weiß ich, dass das Blut irgendwie verändert ist, wenn es eine Nacht im Wald gestanden hat. Das ist dann nur noch ein schwarzer, stinkender Klumpen. Ich hab eine Probe von dem Zeug an einen Chemiker geschickt, dessen Bruder ich ganz gut kenne. Der schaut mal, was das genau ist. Und was ich noch weiß: Dieses Wesen schafft es irgendwie, die Gedanken oder ähm … die Sinneseindrücke von Menschen zu manipulieren. Das ist genau so, wie Herr Schneider das in dem Brief geschildert hat. Man sieht dann etwas, vor dem man sich fürchtet oder was man sich wünscht. Ich hab keine Ahnung, wie so etwas funktionieren kann. Aber bei meinem Bruder war es so, dass wir im Zoo waren und dass er ganz fasziniert von den Ameisenbären war. Und als er in den Wald gegangen ist, also dorthin wo er angegriffen wurde, da hatte er vorher einen Ameisenbären gesehen … und dem ist er dann nachgegangen. Ich selbst hab den auch gesehen, den Ameisenbären. Ich hab meinem Bruder noch gesagt, dass er dem nicht nachgehen soll.”
Nadines Gesichtszüge waren wie versteinert. Aber Lukas machte weiter. Jetzt oder nie. Einfach alles auf den Tisch legen und schauen, was passiert.
„Und die Tochter von den Schneiders hatte sich immer ein Kätzchen gewünscht und als sie in den Wald gegangen ist, da hat sie wohl vorher irgendwelche Katzen gesehen. Und na ja … vielleicht hat auch der Junge, der gerade eben erst getötet wurde, irgendetwas gesehen, was er sich gewünscht hat. Das funktioniert scheinbar wie so eine Art Köder.
„Jetzt wird es völlig irre”, sagte Nadine. „Ich hoffe, du hast das sonst noch keinem erzählt.”
„Wie gesagt, ich weiß, dass sich das alles nach einer fetten Wahnvorstellung anhört. Aber hast du eine bessere Erklärung für das, was meinem Bruder und Peter und der Tochter der Schneiders und dem kleinen Jungen vor drei Tagen passiert ist? Und damit du mich für völlig bescheuert hältst, erzählt ich dir noch was.”
„Okay, dann mal los.”
„Du hast ja schon im Brief von den Schneiders gelesen, dass dieses Wesen auf sie reagiert hat, dass es sie in gewisser Weise terrorisiert hat … also zum Beispiel mit verschiedenen Geräuschen. Und ich glaube, dass dieses Wesen ganz genau weiß, dass ich jetzt hier bin und dass es auch schon auf mich reagiert hat.”
„Wie kommst du drauf?”
„Weil ich verschiedene Sachen erlebt habe, die so nicht sein können. Ich hatte am ersten Tag … also als ich dorthin gegangen bin, wo damals mein Bruder angegriffen wurde, einen Anruf auf meinem Handy. Der kam von meiner eigenen Nummer und ich hab das Weinen eines Kindes gehört. Und dann … also gestern, als ich dort war, wo der Junge umgebracht wurde, hab ich eine Katze gesehen, die einen Vogel rausgewürgt hat, der noch lebendig war. Das war, bevor ich dem Vater des Jungen begegnet bin. Und dieser Vogel war plötzlich weg, das war eine Sinnestäuschung.
„Vielleicht weggeflogen.”
„Quatsch. Also erstens würgt eine Katze keinen lebenden Vogel raus. Und zweitens war der Vogel am sterben, da war der Bauch aufgerissen. Das war alles nicht echt. Und der
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