Die Knochenfrau
Vater von dem Jungen meinte ja auch, dass ich eine Stelle auf dem Weg angestarrt habe und dass da nichts war. Und letzte Nacht hab ich hier im Haus noch etwas gesehen, was nicht echt sein konnte. Wenn ich dir das erzähle, dann hältst du mich endgültig für bekloppt.”
„Raus mit der Sprache.”
„Also … ich wach auf und sehe, dass so eine große schwarze Spinne an der Wand sitzt. Vor denen hab ich mich als Kind immer geekelt. Und auf einmal wachsen der Spinne zwei Flügel und die fliegt auf mich zu. Ich schlag nach dem Mistvieh und da ist sie auf einmal weg und an der Wand sitzt wieder nur eine normale Spinne, ziemlich groß aber normal.”
„Und das war kein Traum?”
„Nein, mit Sicherheit nicht. Ich war so wütend, dass ich die Spinne totgeschlagen habe. Und dann bin ich ins Bad und hab mir die Hände gewaschen. Das war absolut kein Traum, das war dieses Drecksvieh, das es irgendwie schafft, einem was vorzumachen. Das wollte mir einen Schreck einjagen oder sich irgendwie einen Scherz mit mir machen.”
„Weil du die Stelle der Schneiders eingenommen hast?”
„Ja, vielleicht … vielleicht kennt mich das Vieh auch noch von früher.”
Nadine nahm einen Schluck von ihrem mittlerweile kalten Kaffee. Sie sagte nichts, schien zu überlegen.
„Okay Nadine, ich hab dir jetzt einfach alles erzählt, was mir zu der Sache eingefallen ist. Du kannst mich jetzt gerne für behandlungsbedürftig halten.”
Lukas lächelte Nadine an, sie lächelte matt zurück.
„Ich halte dich weder für behandlungsbedürftig noch kann ich einfach glauben, was du mir da erzählt hast. Aber das hast du wahrscheinlich auch nicht erwartet, oder?”
„Nein, hab ich nicht.”
„Ich muss das jetzt erst einmal verdauen. Wenn ich meinen Kollegen erzähle, dass wir es mit einem kindermordenden Monster zu tun haben, dann kann ich meine Polizeilaufbahn vergessen.”
„Ich würde nicht Monster dazu sagen. Monster klingt nach Werwolf oder Zombie oder Seeungeheuer oder so 'n Quatsch. Vielleicht gehört dieses Wesen einfach zu irgendeiner Tierart, die wir noch nicht kennen. Und gefressen wurden die Kinder ja auch nicht.”
„Okay, ich fass mal zusammen: Eine Tierart, die Kinder tötet, Menschenblut mag und einem vormacht, dass Spinnen auf einen zufliegen … das wäre ja echt mal was Neues.”
„Wie gesagt, ich hab keinen Namen dafür. Aber ich bin mir mittlerweile sicher, dass da irgendwas ist, irgendein Wesen, das Kinder angreift und das Halluzinationen hervorrufen kann.”
„Okay Lukas, wenn dieses … dieses Wesen, wenn das Halluzinationen macht, warum haben du und dein Bruder dann dasselbe gesehen, also diesen Ameisenbär? Wenn man eine Halluzination hat, dann ist das doch was persönliches.“
Lukas atmete durch und lehnte sich im Stuhl zurück.
„Keine Ahnung, warum das so war. Vielleicht weil ich auch im Zoo diese Ameisenbären gesehen habe und weil mir Daniel vorher erzählt hat, dass am Waldrand so ein Ameisenbär auftaucht. Vielleicht haben wir ja auch nicht exakt dasselbe gesehen, vielleicht war sein Ameisenbär ein bisschen anders. Wie gesagt: Ich weiß nicht genau, wie das funktioniert.“
„Und du versuchst, diesen Ameisenbär zu finden, indem du mit einem Messer in der Hand im Wald herum läufst?”
„Mensch Nadine, hör mir doch zu. Dieser Ameisenbär war nur eine Halluzination. Ich versuche das Wesen zu finden, das diese Halluzinationen auslöst. Das ist ein Wesen aus Fleisch und Blut, keine Wahnvorstellung.“
„Okay, sorry … diese dürre Frau also. Und die versuchst du jetzt zu finden, indem du im Wald herumläufst … mit einem Messer.“
„Jetzt schau mich nicht so mitleidig an. Was soll ich denn sonst bitteschön machen? Ich kann das doch keinem erzählen, ohne für verrückt gehalten zu werden. Und ich hab auch wenig Lust, hier in scheiß Rothenbach zu versauern und die nächsten fünfzig Jahre eine Schale mit meinem Blut in den Wald zu tragen.”
Nadine verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen hoch.
„Okay, okay, man kann auch in Rothenbach leben, ohne zu versauern … wie auch immer, jedenfalls-
„Was hast du eigentlich gegen Rothenbach?”, unterbrach ihn Nadine.
„Ich hab vor allem was gegen die Rothenbacher”, antwortete Lukas. „Zum Beispiel weil sie meinen Eltern Scheiße in den Briefkasten gesteckt haben.”
„Idioten gibt es überall”, sagte Nadine. „Und in Rothenbach nicht mehr als anderswo.”
„Okay, mag sein. Aber was ich sagen wollte:
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