Die Knochenfrau
ungewöhnlich, das ist eigentlich zu wenig Zeit”
„Aber unmöglich ist es nicht, oder?”
„Also im Labor würden wir so etwas nicht hinbekommen … und über Nacht, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Aber das Zeug ist ja da und wenn Sie mich nicht anlügen, dann-”
„Und angenommen, wir hätten es mit irgendeinem Tier zu tun, das noch nicht entdeckt ist, also irgendeiner neuen Spezies?”
„In Deutschland?”
„Ja, in Deutschland.”
„Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land, da bleibt eigentlich nichts unentdeckt.”
Lukas fand Gefallen daran, mit diesem Mann zu reden. Der Chemiker machte einen intelligenten, umgänglichen Eindruck. Er überlegte schon, ihm alles zu erzählen, was er wusste. Aber dazu war es zu früh. Immer schön Schritt für Schritt, nicht zu weit vorwagen. Nicht das Risiko eingehen, als Spinner abgestempelt zu werden.
„Und angenommen … also nur mal hypothetisch … angenommen, es gibt von dieser Spezies nur sehr wenige Exemplare … oder sogar nur ein einziges Exemplar?”
„Wenn es nur noch eines gibt, dann stirbt die Art ja zwangsläufig aus. Es muss ja zumindest eine bestimmte Population von-”
Lukas unterbrach den Mann.
„Aber wenn das nun ein Wesen ist, das überhaupt nicht zu unseren biologischen Erkenntnissen und Vorstellungen passt. Also irgendetwas völlig anderes.”
„Ja gut, dann ist natürlich alles möglich … also wenn wir alles, wovon wir ausgehen, außer Acht lassen. Aber das ist doch nur Spekulation. Oder sind Sie gerade einer neuen Art auf der Spur?”
„Nein, das ist nur Spekulation.”, antwortete Lukas. „Mich hat eigentlich nur interessiert, was das für ein schwarzes Zeug ist. Vielen Dank für die Informationen, ich muss jetzt leider auch los.”
„Kein Problem! Ist wirklich ein interessantes Zeug, das Sie mir da geschickt haben. Würden Sie mich anrufen, wenn Sie doch noch irgendetwas herausfinden?”
„Ja, mach ich. Schönen Sonntag noch.”
„Ihnen auch.”
Lukas legte auf, setzte sich auf das Wohnzimmersofa und dachte nach. Dieses stinkende schwarze Zeug war also giftig … oder infektiös … jedenfalls gefährlich. Eigentlich ein Wunder, dass die Schneiders mehr als zwanzig Jahre mit dem Zeug zu tun hatten und es überlebten. Oder wussten sie, dass es gefährlich war? Nein, bestimmt nicht. Das hätten sie in dem Brief erwähnt. Vielleicht hatten sie ja einfach Glück gehabt.
Und dann kam Lukas ein Gedanke. Vielleicht war dieses Zeug eine Art Falle, vielleicht hatte das Wesen, das die Schneiders „Die dürre Frau” nannten, versucht, das alte Ehepaar mit dem Zeug umzubringen. Wenn das so war, dann hatte es nicht geklappt. Oder etwa doch? Herr Schneider starb an einem Herzinfarkt. Konnte das Zeug einen Herzinfarkt auslösen? Lukas war kurz davor, noch einmal die Nummer des Chemikers zu wählen und ihn zu fragen. Überhaupt ärgerte er sich darüber, dass er das Gespräch so früh beendet hatte. Vielleicht konnte er in dem Mann ja einen Verbündeten finden. Vielleicht sollte er ihm einfach alles erzählen, was er wusste und was er erlebt hatte. Der Typ war nett und intelligent, er hatte nicht diese aufgesetzte „Ich bin cooler als du”-Art seines Bruders Sven, die Lukas bei jedem Anruf ein bisschen mehr auf die Nerven ging. Sicher war der Chemiker älter als sein Bruder, bestimmt über vierzig. Lukas stellte sich einen grauhaarigen Mann im weißen Kittel vor und musste an Dr. Best aus der Fernsehwerbung denken, den Mann, der mit ernster Miene Zahnbürsten an Tomaten drückte. Aber der Typ, der für flexible Zahnbürsten warb, war älter.
Lukas räumte den Frühstückstisch ab und setzte sich ins Wohnzimmer. Immer noch kreisten seine Gedanken um diese Sache mit dem Blut. Das Zeug, das er am ersten Tag in der Spüle gefunden hatte, war doch schwarz und klumpig … dieser Bakterienklumpen eben. Also war das Vieh dran gewesen … und kurz darauf hatte es ein Kind getötet. Wie konnte das sein? Wahrscheinlich war es wirklich Zufall, dass so viele Jahre nichts passiert war. Die Schneiders lagen also falsch … oder etwa nicht? Lukas fand keine schlüssigen Antworten auf seine Fragen. Er betrachtete das leere Pflegebett, in dem so viele Jahre lang Frau Schneider gelegen hatte, und wählte die Nummer des Heims, in dem sie jetzt lag. Eine Frau mit tiefer, leicht heiserer Stimme ging ran.
„Hallo, hier ist Lukas Kramer. Können Sie mir sagen, wie es der Frau Schneider geht? … Wilma
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