Die Knochenfrau
direkt an.
„Polmeyer”, meldete sich eine tiefe, ausgeschlafene Stimme.
„Guten Morgen Herr Polmeyer, ich habe ihre Nummer von ihrem Bruder Sven. Ich bin derjenige, der ihnen-”
„Ach so, Sie haben mir dieses Teufelszeug im Gefrierbeutel geschickt.”
„Äh ja … wieso Teufelszeug?”
„Ganz einfach. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine kleine, fast nicht sichtbare Verletzung an der Hand. Wenn Sie sich etwas von dem Zeug auf diese Verletzung schmieren, dann kriegen Sie eine Infektion, an der Sie sterben können. War das mal Blut?”
„Ja, das war Blut”, antwortete Lukas und während er noch sprach, fiel ihm etwas ein. Verdammte Scheiße nochmal!
„Ich habe das Zeug angefasst, muss ich mir jetzt Sorgen machen?”, fragte Lukas den Chemiker.
„Wann war das?”
„Dienstag … nein, Mittwoch.”
„Nun ja … wenn Sie keine Verletzung an der Hand hatten, dann ist auch nichts passiert. Und wenn bis jetzt nichts kam, dann kommt wohl auch nichts mehr.”
Lukas atmete durch. Er nahm das Telefon in die andere Hand und betrachtete den Zeigefinger, mit dem er in der schwarzen Masse gepult hatte. Sah alles normal aus, keine Rötung, keine Verletzung. Fühlte sich auch normal an.
„Was genau ist das denn jetzt für ein Zeug?”
„Sind Sie vom Fach? Kennen Sie sich mit Medizin oder Biologie aus.”
„Nicht direkt.”
„Nicht direkt?”
„Überhaupt nicht, ich bin nicht vom Fach.”
„Okay, dann drücke ich es verständlich aus.” Der Bruder von Sven Polmeyer lachte. Sven hatte ihn als Spießer bezeichnet, aber Lukas war dieser Mann nicht unsympathisch.
„Ich habe das natürlich noch nicht zu hundert Prozent analysiert, dafür war zu wenig Zeit. Aber was Sie mir da geschickt haben, scheint ein recht interessantes Mischmasch aus verdorbenem menschlichem Blut und unterschiedlichen pathogenen Bakterien zu sein … also Bakterien, die Sie krank machen und töten können. Insgesamt mehr Bakterien als Blut. Wo zum Teufel haben Sie das her?”
„Gefunden”, sagte Lukas. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
„Aha … gefunden. Wie dem auch sei: Seien Sie vorsichtig mit dem Zeug.”
„Ähm okay … was sind das für Bakterien? Also wie heißen die?”
„Also wenn ich Ihnen jetzt die lateinischen Namen aufsage, dann bringt Ihnen das wahrscheinlich recht wenig. Oder wissen Sie, was Clostridium tetani ist?
„Was mit Tetanus?”
„Genau, davon kriegen Sie Tetanus. Also der Kollege war zum Beispiel mit dabei in Ihrer Probe. Nun heraus mit der Sprache, woher haben Sie das Zeug?”
„Das ist eine ziemlich lange Geschichte, das würde jetzt zu weit führen, wenn ich Ihnen-”
„Also ich hab' Zeit”, unterbrach ihn der Chemiker. Lukas zögerte einen Moment, bevor er sprach.
„Okay … es ist folgendermaßen: Das Zeug war eigentlich Blut … also wie Sie schon sagten. Und ich vermute, dass da irgendetwas dran war an dem Blut, irgendein Tier. Mehr weiß ich auch nicht.”
„Lassen Sie mich mal nachdenken”. Polmeyer sagte fast eine Minute lang nichts. Lukas hörte ihn atmen, dann machte der Chemiker ein schmatzendes Geräusch. Vielleicht machte er immer solch ein Geräusch, wenn er eine Idee hatte. Es dauerte eine weitere halbe Minute bis er sprach … und während dieser halben Minute stellten sich Lukas einige Fragen … sie kamen ganz plötzlich: Wer zum Teufel hatte die Schale mit dem Blut wieder in die Wohnung gebracht? Herr Schneider war doch tot … wieso stand die Schale in der Spüle? War dieses verdammte Vieh im Haus gewesen? Und wenn ja: Warum hatte es Frau Schneider nichts getan?
„Mir ist gerade etwa eingefallen“, fuhr Polmeyer fort. „Es gibt Raubtiere, die eine sehr hohe Konzentration pathogener Bakterien im Speichel haben. Zum Beispiel bestimmte Warane. Wenn solch ein Raubtier ein Beutetier anfällt und das Beutetier entkommt, dann kann es sein, dass die Beute später an einer Sepsis stirbt.”
Der Chemiker machte eine weitere Denkpause und diesmal konnte Lukas sich nicht zurückhalten.
„Also angenommen, da war irgendein Raubtier an dem Blut und hat vielleicht davon getrunken … könnte sich dann über Nacht, also innerhalb weniger Stunden, so etwas herausbilden, also dieses Zeug, das ich Ihnen geschickt habe?”
„Nun ja … vielleicht theoretisch. Ich wüsste allerdings nicht, dass es in Deutschland solche Raubtiere gibt … also mit einer dermaßen hohen Bakterienkonzentration im Speichel. Und dass sich über Nacht so etwas bildet, das ist schon extrem
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