Die Knochenkammer
geholfen.« Die Besitzer gehörten zu den philanthropischsten und nettesten Familien in der Stadt, und ich war mir sicher, dass sie uns mitten in einer Mordermittlung einen Gefallen tun würden. Nina hatte letzte Woche dort übernachtet, und ich kannte alle Annehmlichkeiten. »Außerdem würde niemand auf die Idee kommen, dort nach unseren Zeugen zu suchen, das steht fest. Rufen Sie mich zurück, sobald Sie die Fluginformationen haben.«
Dann rief ich Mike an. »Clem ist eine Sie. Clementine. Wir lassen sie morgen einfliegen. Kannst du sie am Flughafen abholen und sie zügig durch den Einwanderungsschalter und den Zoll schleusen?«
»Müssen wir morgen nicht einige Interviews am Museum machen und mit Pierre Thibodaux sprechen? Ich sorge dafür, dass Mercer sie abholt.«
»In Ordnung.« Ich wiederholte ihren Namen und sagte ihm, dass ich ihn wegen des Flugs und des Hotels noch einmal kontaktieren würde.
»Was für ein Name ist denn das?«
»Inuit.« Ich lachte. »Sie ist aus Uummannaq, Grönland.«
»Ach so, ein Eskimo.«
»So hieß es früher mal. Jetzt sagt man Inuit.«
»Wie die verdammten Washington Redskins, hä? Jetzt muss es also Uummannaq Inuits heißen. Nun, Clem wird meine erste Eskimodame sein. Stell sie ja nicht diesem Sadomasochisten vor, gegen den du gerichtlich vorgehst. Wenn er jemals jemanden ihren Namen buchstabieren lässt, wird diejenige zu Brei geschlagen. Was macht ihr heute?«
»Val hat sich am Esstisch eingerichtet. Sie muss vor morgen früh noch einige Pläne fertigzeichnen. Nina und ich gehen reiten. Und du?«
»Vielleicht lass ich es heute mal ruhiger angehen. Letzte Nacht war nichts los, sodass ich heute zu Hause bleiben kann, außer man ruft mich zu einem neuen Fall. Ich bin schon mit meiner frommen Mutter in der Kirche gewesen, das reicht jetzt wieder für ein halbes Jahr.«
Ich wartete auf Eds Rückruf und gab dann Mike die Reisedaten durch.
Nina und ich fuhren zu den Ställen an der South Road und mieteten Pferde für einen Nachmittagsausritt am Wir ritten langsam durch ein dichtes Waldstück, dann durch das hohe Strandgras der Feuchtgebiete, um den Tisbury-Teich herum und hinaus auf den jungfräulichen weißen Sand, der für Meilen den Atlantik säumte. Nina und ich kamen jedes Mal zum Black Point Beach, und ich kam oft hierher, wenn ich allein auf der Insel war.
Vor über zehn Jahren, im Sommer nach meinem Jurastudium und nachdem ich die Anwaltszulassung bekommen hatte, wollte ich hier auf der Insel heiraten. Ich hatte das Haus zusammen mit meinem Verlobten, Adam Nyman, gekauft, der damals Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung am Uniklinikum in Charlottesville gewesen war.
Nina war in der Woche vor der Hochzeit bei mir gewesen. Sie sollte meine Brautjungfer sein, so wie ich einige Jahre zuvor ihre Brautjungfer gewesen war. Und es war Nina, die mir die Nachricht überbringen musste, dass Adam - der auf Grund seines unflexiblen Schichtdienstes als Letzter auf der Insel eintreffen sollte - bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Ein anderer Autofahrer hatte ihn auf dem Highway in Connecticut beim Überholen seitlich abgedrängt, und er war über das Geländer einer alten Brücke in das darunter liegende Flussbett gestürzt.
Nina und ich kamen jedes Mal hierher, um an Adam zu denken und uns darüber zu unterhalten, welch einzigartigen Einfluss er auf mein Leben gehabt hatte.
Viel zu lange war ich unfähig gewesen, mich wieder ernsthaft auf jemanden einzulassen. Aus Angst, wieder im Innersten verletzt zu werden, hatte ich mich einige Jahre emotional abgekapselt und mich umso mehr in die Arbeit gestürzt. Jetzt kam es mir vor, als ob Mike Chapman genauso funktioniert hatte, wenn auch aus anderen Gründen. Vielleicht erklärte das, warum wir uns all die Jahre beinahe wortlos verstanden hatten, obwohl ich die Gründe dafür bis in jener Nacht des elften September nicht gekannt hatte.
Während Nina und ich mit unseren Pferden am Ufer entlangritten, erinnerte sie mich an die Wochenenden, die sie, Jerry, Adam und ich während meines Jurastudiums miteinander verbracht hatten. Wir lachten angesichts der Erinnerungen, und ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn Adam nicht ums Leben gekommen wäre.
»Lass uns am Markt anhalten, bevor er schließt. Val und ich werden dich heute Abend bekochen.«
Nina wendete ihr Pferd und ritt auf die Dünen zu.
Als ich an den Zügeln zog, um ihr zu folgen, sah ich, dass Nina stehen
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