Die Knochenkammer
Regelung?«
»Mitfühlende Seelen argumentieren, dass reiche Nationen wie die unsere die ärmeren alten Zivilisationen ihres kulturellen Erbes berauben.«
»Tun Sie das denn nicht?«
»Denken Sie, Detective, dass die Sachen sicherer sind, wenn man sie in einem verarmten, politisch instabilen Umfeld lässt, anstatt sie der Welt zugänglich zu machen, damit diese sie sehen und von ihnen lernen kann? Denken Sie, dass die Zerstörung dieser herrlichen Bamian-Buddhas durch die Taliban im Jahr 2001 besser war, als sie aus Afghanistan rauszuholen? Stellen Sie sich doch nur vor, welchen Risiken manche Kunstwerke in ihrer Heimat ausgesetzt sind.«
»Und die Anklage?«, fragte ich.
»Dieser Händler hatte die Angewohnheit, einzigartige Schätze aus gewissen Ländern herauszuholen.«
»Schmuggel?« Ich dachte an Katrinas Akte, die wir von Bellinger bekommen hatten - das Flohmarktfiasko - und wie entsetzt sie gewesen war, dass Thibodaux die kleine Elfenbeinschnitzerei aus Genf hatte herausschmuggeln lassen.
»Stehe ich unter Eid, Ms. Cooper?« Er starrte mich wütend an. »Dieser Händler, sagt man, ging so weit, Scheinsammlungen zu kreieren. Er dachte sich eine kunstvolle Geschichte über einen Sammler edwardianischer Kunst in London aus, in dessen Besitz die fraglichen Antiquitäten seit den zwanziger Jahren angeblich waren. Er backte sogar die Etiketten der Objekte im Ofen, um sie älter erscheinen zu lassen.«
»Und Sie haben sie gekauft.«
»Ebenso wie viele andere Museen, die dafür geboten haben. Ja, wir haben tatsächlich einiges davon gekauft. Denken Sie mal nach, Ms. Cooper! Wenn sich diese Art juristischer Argumentation vor einem Jahrhundert durchgesetzt hätte, dann wären die Museen dieses Landes ein Jammertal. Dann gäbe es nicht ein Ausstellungsstück in ihnen zu sehen.«
»Geht’s hier um Exportpolitik oder um Diebstahl, Mr. Thibodaux?«
»Ich trete zurück, Ms. Cooper. Ehrlich gesagt hoffe ich, dass am Louvre noch ein Plätzchen für mich frei ist.«
»Scheiße, was für einen Vorteil Ihre Landsleute hatten! Sie haben seit Jahrhunderten gestohlen. Napoleon vernichtete die Ägypter in seinem Feldzug von 1798 und brachte ganze Schiffsladungen zurück nach Frankreich.« Mike nahm das Polaroidfoto des abgetrennten Arms heraus, das die Spurensicherung für uns geschossen hatte. »An dem hier klebt eines Ihrer Inventarnummernschildchen. Ich bin mir sicher, dass er fehlerhaft ausgezeichnet ist, aber ich möchte gerne, dass Sie es sich ansehen.«
Thibodaux besah sich den gesprenkelten Arm. »Jemand scheint sich einen Scherz mit uns zu erlauben. Präsidentin Raspen muss aus dem Häuschen sein.«
»Warum?«
»Es war meine Idee, das hier zur Verwendung in der Bestiariumsausstellung hinüberzuschicken. Ein äußerst ungewöhnliches Stück für ein großes Kunstmuseum wie das Metropolitan.«
Wer hätte gedacht, dass Thibodaux einen Sinn für schwarzen Humor hatte? »Ein echter menschlicher Arm?«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir darum gekämpft haben, dieses Stück zu bekommen. Es stammt aus der Eremitage, die eine erstaunliche Sammlung skythischer Objekte besaß.«
»Skythisch? Ich kenn -«
»Eine abgelegene Bergregion in Westsibirien. Dort gibt es riesige Schätze aus solidem Gold. Vieles davon war für die gemeinsame Ausstellung angemessen, weil die Skythen für ihre Tierverzierungen bekannt waren. Alle diese Kunstwerke, die dem Rest der Welt wenig bekannt sind, landeten bei den Russen.«
»Und Sie haben sie hierher geschafft?«
»Meine Vorgänger haben das getan, Montebello und Hoving. Die Skythen waren große Kämpfer und hielten Herden mongolischer Ponys. Also hatten sie wunderbar gearbeitete Ledersättel und vergoldete Reitaccessoires.«
»Der Arm, Sir. Was, zum Teufel, tut der hier?«
»Dieses Volk lebte im Altai-Gebirge, wo es im Winter ziemlich kalt sein kann. Vögel, Tiere, ganze Menschenkörper sind jahrhundertelang konserviert worden, perfekter als in den Trockenwüsten Ägyptens.«
Wieder einmal war ich völlig verwirrt. War Katrina Grooten in so tadellosem Zustand gewesen, weil sie in der Kälte oder in einer warmen, trockenen Gruft gelegen hatte? Und warum wussten all diese Kunst- und Kulturkenner so viel über die Konservierung von Leichen wie ein forensischer Pathologe?
»Das ist der Arm eines skythischen Kriegsherrn, wahrscheinlich drittes Jahrhundert vor Christus. Aus irgendeinem Grund haben sie diese menschlichen Häute, genau wie Tierhäute, konserviert.« Er
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