Die Knochenkammer
legte die Fotografie auf das Fensterbrett und deutete auf die Schlangentätowierungen auf der tiefbraunen Haut. »Sehen Sie das Kampfmotiv, Mr. Chapman? Zwei Hirsche stehen sich sprungbereit mit angespannten Muskeln gegenüber. Und hier stößt ein Adler herab und packt seine Beute mit dem Schnabel.«
Die bloße Erwähnung des Wortes Kriegsherr hatte Mikes Interesse geweckt. »Alle tätowierungswütigen Tussis von heute können sich von dem Kerl noch ‘ne Scheibe abschneiden. Wenn ich noch ein Kleeblatt oder eine Rose oder ein Herz auf jemandes Arschbacken oder Dekollete sehe - ich meine, das ist doch so abgedroschen.«
Thibodaux sah Mike schief an.
»Ich rede nicht über mein Privat- oder Liebesleben. Ich rede über Leichen, mit denen ich zu tun habe. Diese hier hat wenigstens Stil. Also, wo war der Arm?«
»Er hat das Met vor Monaten verlassen. Sie sollten mit Mamdoubas Leuten reden. Jemand muss es aus dem Ausstellungslager geklaut haben, um drüben am Naturkundemuseum Aufsehen zu erregen.«
»Wer wusste, dass der Arm dort war? Jemand von Ihren Leuten in dem Ausstellungskomitee?«
»Vermutlich alle. Aber auch alle von Mamdoubas Leuten.«
Thibodaux schien sich mit seinem Vortrag über skythische Kunst und Geschichte selbst charmiert zu haben. Er wirkte entspannter als bei unserer Ankunft.
Mike wechselte das Thema. »Wir fanden am Freitag eine interessante kleine Tatsache heraus und dachten, dass Sie uns vielleicht weiterhelfen könnten.«
Der Direktor legte den Kopf schief und nickte, überzeugt, Mikes Respekt gewonnen zu haben.
»Katrina Grooten wurde nicht gerade förmlich verabschiedet. Niemand ging in ihre Wohnung und suchte ihr Lieblingskostüm oder das kleine Schwarze heraus, um sie darin zu beerdigen. Es lief eher nach dem Motto >du stirbst so, wie du bist<.« Thibodaux verkrampfte sich wieder.
»Sie trug billige Wollhosen und zerschlissene alte Unterwäsche. Aber das Seltsame ist - und Ms. Cooper hier ist meine Expertin, was Klamotten angeht -, dass sie einen Kaschmirpullover trug. Handgestrickt, exklusiv, ein stinkfeines Madison-Avenue-Etikett. Also sind wir der Sache nachgegangen. Ist es nur ein Zufall, oder kennen Sie jemanden namens Penelope Thibodaux?«
»Meine verstorbene Frau, Chapman. Ich gehe davon aus, dass Sie schlau genug waren, diese Verbindung selbst herzustellen.« Jetzt war er wütend und spuckte Mike die Worte fast ins Gesicht.
»Das heißt also, dass Sie Katrina Grooten nicht kannten, Ihre Frau aber schon?«
»Meine Frau hat sie nie kennen gelernt. Hören Sie, ich habe sie auf dem Foto, das Sie mir am ersten Tag gezeigt haben, nicht erkannt. Das verstehen Sie doch sicher. Diese … diese Totenblässe und wie heißt das? das Leichenfoto: Sie sah überhaupt nicht aus wie die junge Frau, die hier gearbeitet hat. Ich schwöre Ihnen, dass ich Sie nicht irreführen wollte. Und selbst dann fiel mir ihr Name nicht ein. Als ich Ms. Grooten das letzte Mal sah, war sie so voller Leben, so -«
»Wann war das?«
»Glauben Sie mir, ich habe mir große Mühe gegeben, mich an die Umstände zu erinnern.«
»Der Pullover. Wollen Sie uns davon erzählen?«
»Das war im letzten Sommer. Vielleicht Ende August. Eve kann Ihnen das Datum nennen. Es war in meiner Wohnung. Nicht, was Sie denken, Detective. Eine Cocktailparty für einige Kuratoriumsmitglieder.«
»Und warum war Katrina bei so einer Veranstaltung dabei?«
»Wir umwarben Sponsoren für die Cloisters, um sie für einige Objekte, die kurz darauf auf den Markt kamen, zu interessieren. Bellinger hatte das Ganze organisiert. Ich bin mir sicher, dass es seine Entscheidung war, einige der jüngeren Mitarbeiter mit einzuschließen.«
»Warum in Ihrer Wohnung?«
Er deutete durch das Fenster nach draußen. »Das Apartment, in dem wir wohnen - entschuldigen Sie bitte, in dem ich wohne -, gehört dem Met. Es ist ein Penthouse auf der Fifth Avenue. Wir geben viele Partys dort. Damals war es eine sehr warme Nacht. Der Caterer richtete die Bar auf meiner Terrasse ein. Die Aussicht ist herrlich, mit Blick auf das Museum und den Park. Ich erinnere mich daran, dass einer Mitarbeiterin kalt war. Sie zitterte förmlich.«
»Aber Sie sagten doch gerade, dass es sehr warm gewesen sei.«
»Deshalb war es ja so ungewöhnlich. Alle anderen genossen es, im Freien zu sein. Mir fiel auf, wie unwohl sie sich fühlte.«
Ich dachte an die Anzeichen von posttraumatischem Stress. Das war nur zwei Monate nach Katrinas brutaler Vergewaltigung gewesen. Ich
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