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Die Knochenkammer

Titel: Die Knochenkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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Wir fingen letztes Frühjahr an, uns bei der Administration unbeliebt zu machen. Für sie war es nicht so riskant, weil sie fürs Met arbeitete. Ich bekam Schwierigkeiten. Ich musste bei Mamdouba erscheinen und eine Standpauke über mich ergehen lassen. Ich solle mich auf meine Exponate konzentrieren und mich aus Museumsangelegenheiten raushalten.«
    Mike rutschte an die Stuhlkante vor. »Ich habe schon viele Mordmotive gehört, Clem. Aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass eine junge Frau wegen ein paar Felsensplittern umgebracht worden ist.«
    »Da haben Sie Recht, Mike. Es geht ja auch um die Knochen. Ich glaube, dass sie wegen der Knochen starb.«
    »Was wissen Sie über mein Land? Die Frage geht an Sie alle.«
    Mercer und ich schwiegen. Mike antwortete. »Im Jahr 982 wurde Erich der Rote wegen Totschlags aus Island verbannt und wanderte nach Grönland aus. Die größte Insel der Welt. Er hat Ihre Vorfahren ganz schön verschaukelt. Als er zurückkam, erzählte er jedem, dass sein neues Zuhause ein >grünes Land< sei, damit ihm dort jemand Gesellschaft leisten würde. Das ist aber auch schon so ungefähr alles, was ich weiß. Tut mir Leid.«
    »Nicht schlecht für den Anfang.« Sie stellte ihr Glas ab.
    »Die Familie meines Vaters kommt aus einem sehr kleinen Dorf namens Qaanaag. Weit oben im Nordwesten Grönlands in der Arktik.«
    »Kein Wunder, dass Sie Ihren Bourbon ohne Eis trinken.«
    »Sie haben keine Ahnung, was Kälte ist. Polareskimos. Eine sehr kleine Gemeinschaft, ziemlich isoliert vom Rest der Welt. Es ist seltsam, wie sehr mein Leben mit diesem Museum verstrickt ist. Robert Peary hatte seit den Jahren um 1880 nach dem Nordpol gesucht.«
    »Der Admiral?«, fragte ich.
    »Damals nur Lieutenant«, sagte Mike.
    »Der damalige Präsident des Naturkundemuseums, Morris Jesup, traf eine Abmachung mit Peary. Er verschaffte ihm Urlaub von der Marine und finanzierte seine Expedition zum Nordpol, falls Peary sich bereit erklären würde, zoologische Exemplare und geologische Informationen zu sammeln.« Clem blinzelte Mike an. »Raten Sie mal, was Peary gesammelt hat.«
    »Keine Ahnung.«
    »Einen Meteoriten. Die Eskimos nannten ihn den >Eisernen Berg<.«
    »Sie haben’s mit diesen Steinen.«
    »Damals war es der größte, den man bis dahin gefunden hatte. Peary brauchte drei Jahre, bevor es ihm gelang, ihn auf seinem Schiff zurückzubringen. Er landete 1897 in der Marinewerft von Brooklyn. Vierzehn Pferdegespanne mussten diesen kostbaren Fund zum Museum befördern. Aber das war noch nicht alles. Peary hatte noch weit wertvollere Fracht an Bord.«
    »Und zwar?«
    »Inuits. Sechs Mitglieder dieses abgelegenen kleinen Stammes, der weniger als zweihundertfünfzig Mitglieder umfasste. Sie hatten Peary all die Jahre auf seinen Expeditionen und beim Jagen und Sammeln geholfen. Sie vertrauten ihm und arbeiteten mit ihm zusammen. Er und seine Mannschaft waren die einzigen Weißen, die sie kannten.«
    »Aber warum hat er sie mit nach New York genommen?«
    »Man betrachtete ihn als großen Mann der Wissenschaft, Alex. Das war natürlich seine Begründung. Aber die Presse und die Öffentlichkeit behandelte sie als Spektakel und Kuriositäten.«
    »War es das erste Mal, dass er Menschen mit nach New York brachte?«
    »Lebende, ja.«
    »Aber er hat doch sicher keine Toten mitgebracht?«
    »Das Jahr davor hatte er eine Eskimofamilie aus ihrer Grabstatte exhumieren lassen - Freunde von ihm von früheren Reisen. Vater, Mutter und ihre junge Tochter, die alle drei kurz zuvor während einer Epidemie ums Leben gekommen und gerade erst beerdigt worden waren.«
    »Weshalb?«
    »Er hat sie ans Museum verkauft.«
    »Aber warum?«
    »Skelette, Schädel. Um sie auszustellen. Damit reiche Weiße die Eingeborenen begaffen und Wissenschaftler die nordischen Rassen studieren konnten.«
    »Und auf dieser Reise?«
    »Vier Erwachsene. Zwei davon waren Witwer mit kleinen Kindern. Ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge. Dazu fünf Fässer mit sterblichen Überresten von Eskimos aus frisch gehobenen Gräbern.« Sie schloss die Augen und schwieg. »Meine Urgroßmutter war in einem dieser Fässer.«
    Der Gedanke war unvorstellbar. Niemand sagte etwas, bis Clem weiterredete. »Ihr erging es besser als denjenigen, die noch am Leben waren.«
    »Wo haben Letztere denn gewohnt?«
    »Sie sind schon im Naturkundemuseum gewesen, oder? Die sechs Eskimos wurden im Kellergeschoss des Museums untergebracht.«
    »Wie konnten sie es dort überhaupt

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