Die Knochenkammer
macht?«
»Ich. Er. Der Richter. Sie. Dann muss ich erzählen, was er mir angetan hat.«
»Und was, denkst du, macht Felix, nachdem du ausgesagt hast?«
»Ich weiß es nicht.«
»Falls er möchte, kann auch er das Wort an die Geschworenen richten. Er kann ihnen seine Version der Geschichte erzählen. Diese zwölf Leute kennen dich nicht, und sie kennen ihn nicht, also müssen sie herausfinden, wem von euch beiden sie glauben, wessen Geschichte mehr Sinn ergibt.«
»Wieso darf er auch reden?« Dieser Teil des Verfahrens schien sie offensichtlich zu beunruhigen. »Er wird sowieso nicht die Wahrheit sagen. Er wird sagen, dass ich ihn zu mir nach Hause eingeladen habe.«
Angel schnalzte mit der Zunge, ihrer Missbilligung Ausdruck gebend, dass sie gerade ein Argument zu Felix’ Gunsten abgeliefert hatte, und rutschte noch tiefer in den Stuhl. Sie zog die Schultern ein, sodass das G und das a nicht mehr sichtbar waren und man nur noch das Wort angst lesen konnte.
»Ich will dir etwas sagen, was das Lügen vor Gericht angeht. Hat dir der Detective gesagt, dass das auch ein Verbrechen ist? Dass du verhaftet werden kannst, wenn du unter Eid im Zeugenstand lügst?«
»Felix hat mich vergewaltigt. Das ist keine Lüge. Sie können mich wegen nichts verhaften. Ich bin zu jung.« Sie hörte kurz auf zu schmollen, als ihr der Gedanke, dass ihr Alter sie beschützen würde, vorübergehend Mut machte.
Stell mich nicht auf die Probe, Angel. »Wir können dich sehr wohl verhaften. Dein Fall wird beim Familiengericht verhandelt werden, weil du noch nicht sechzehn bist. Aber die Richterin kann dich deiner Mutter wegnehmen und dich nach Upstate New York zu Pflegeeltern geben -«
Jetzt horchte sie auf. »Ich will das jetzt nicht tun. Ich will nach Hause.«
»Ich befürchte, diese Wahl hast du nicht. Ein Mann ist verhaftet worden auf Grund der Geschichte, die du Detective Vandomir erzählt hast. Er ist seit zwei Tagen im Gefängnis, angeklagt der schlimmsten Sache, die ein Mensch einem anderen Menschen antun kann, abgesehen von Mord. Und dort gehört er auch hin, dort gehört er für eine sehr lange Zeit hin, falls er dich mit einem Messer bedroht und vergewaltigt hat. Also werden wir deine Aussage jetzt noch einmal durchgehen. Es gibt nur eines, was du von jetzt an falsch machen kannst.«
»Was ist das?«
»Lügen. Du darfst nicht lügen, Angel. Über nichts. Egal, wie unbedeutend dir die Frage erscheint, egal, um was es geht, du darfst nicht lügen. Wenn ich dich frage, ob an dem Tag, an dem du Felix kennen gelernt hast, die Sonne schien oder ob es regnete, musst du mir die Wahrheit sagen.«
»Was hat das mit meiner Vergewaltigung zu tun?«
»Alles, was du sagst, spielt eine Rolle, damit wir wissen, was wir glauben sollen, wenn du uns erzählst, was mit Felix in deinem Zimmer passiert ist. Wenn du wegen Kleinigkeiten lügst, dann bedeutet das, dass du auch fähig bist, bei großen Dingen zu lügen. Wenn du mir sagst, dass du ihm nie deine Piepernummer gegeben hast, ich aber in ein paar Tagen aus den Unterlagen der Telefonfirma ersehen kann, dass er dich letzte Woche jeden Tag angepiept hat, dann weiß ich, dass du genügend Lügen erzählt hast, dass ich dir nicht vertrauen kann. Und wenn du unter Eid vor der Grand Jury lügst, lasse ich dich auf der Stelle verhaften.«
Es gab sanftere Wege, das alles zu sagen, aber ich hatte keine Geduld mehr und wenig Zeit. Es war beinahe halb zehn, und sobald Laura, meine Sekretärin, eintraf, würde sie Battaglia informieren, dass ich ihn sehen musste.
Vandomir war ein kluger Cop mit guten Instinkten. Wenn er daran zweifelte, dass Angel die Wahrheit sagte, hatte er guten Grund dazu. Nach viereinhalb Stunden mit ihr in der Notaufnahme des Krankenhauses hatte er ein konkretes Gefühl, an welchen Stellen ihre Story wackelig war. Ich versuchte, mich im Ton zu mäßigen, und fragte sie weiter über ihre Beziehung zu Felix aus.
Jedes Mal, wenn sie eine Frage beantwortete, sah Angel zu Vandomir. Jetzt war ich der bad cop, und sie blieb bei ihrer ursprünglichen Version, obwohl die Details nicht zusammenpassten. Aber ich konnte die Strafanzeige eines Vergewaltigungsopfers nicht auf bloßen Verdacht hin unberücksichtigt lassen, also quetschte ich sie über jede einzelne Stunde zwischen der ersten Taxifahrt und der fraglichen Nacht aus.
Ich biss auf Granit. Angel war nicht sehr überzeugend, aber sie war taff. Vandomir schrieb etwas auf ein Stück Papier und reichte es mir über den
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