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Die Knochenkammer

Titel: Die Knochenkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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hatten uns während meines ersten Dienstjahres kennen gelernt, als wir an verschiedenen Fällen gearbeitet hatten, und hatten seitdem beruflich und privat viel Zeit miteinander verbracht.
    »Wisch dir den Senf vom Kinn, bevor wir in Thibodaux’ Büro gehen!«
    »Siehst du? Ich nehm’s zurück. Du bist wahrscheinlich schon als Sechsjährige eine schreckliche Nervensäge gewesen. Es steckt dir im Blut. Wo hast du dich am liebsten herumgetrieben?«
    »Erster Stock, Gemälde und Skulpturen. Dort habe ich meinen ersten Degas gesehen.« Ich hatte seit meinem fünften Lebensjahr Ballettunterricht. Die Eleganz der Bewegungen und die Schönheit der Musik waren immer eine Zuflucht für mich gewesen, und bis heute besuchte ich die Ballettstunden, wenn es sich mit meinem unberechenbaren Zeitplan vereinbaren ließ. Als Kind hatte ich oft verzückt vor dem Bild der zwei Tänzerinnen gesessen, die in ihren weißen Tüllkleidchen mit den großen gelben Rückenschleifen ihre Beine an der Stange dehnten, bevor sie ihre Exercises auf der Spitze begannen. Ich hatte gehofft, später genauso zu werden wie sie.
    »Ich bin direkt dort hinüber«, sagte Mike und deutete quer durch die Halle, vorbei an der großen Treppe. »Waffen und Rüstungen.« Das Met hatte eine beeindruckende Sammlung, und obwohl meine Brüder Stunden damit verbracht hatten, an den Vitrinen mit den vergoldeten Paraderüstungen, Präsentationsschwertern und Rapieren entlangzuwandern, war ich sofort zu den Tänzerinnen und den anderen Porträts, die ich so gern mochte, hinaufgelaufen.
    Ich fragte die Frau am Informationsschalter nach dem Weg zum Büro des Museumsdirektors. Sie rief Thibodaux’ Sekretärin an, die ihr sagte, dass man uns erwartete.
    »Hier bin ich nach Schlachten und Kriegern süchtig geworden. Ich konnte nicht genug davon bekommen.« Mike besaß ein schier enzyklopädisches Wissen, was Militärgeschichte anging. Ich wusste, dass das sein Hauptfach im College gewesen war, aber mir war bisher nie in den Sinn gekommen zu fragen, wo sein Interesse ursprünglich herrührte.
    Wir gingen durch die Ausstellungsräume mit griechischer und römischer Kunst zu den Aufzügen. »Dort sind über vierzehntausend Objekte, von Rittern in Kettenrüstungen bis hin zu Samuraischwertern. Im Souterrain gibt es eine Rüstungswerkstatt. Uncle Sam hat sie im Zweiten Weltkrieg verwendet und mittelalterliche Entwürfe kopiert, um kugelsichere Westen für die Armee herzustellen.«
    Eine Frau mittleren Alters empfing uns am Aufzug, als wir ausstiegen. »Ms. Cooper? Ich bin Eve Drexler, Mr. Thibodaux’ Assistentin.« Ich stellte ihr Mike vor, und wir folgten ihr den Gang hinunter. Ihr knöchellanges, blumengemustertes Kleid raschelte zwischen ihren Beinen, während sie uns, vorbei an Thibodaux’ Sekretärin, in einen sonnendurchfluteten, verschwenderisch ausgestatteten Raum geleitete. Durch die großen Fenster sah man auf die schönen Stadthäuser auf der anderen Seite der Fifth Avenue, die vor Jahren zur renommierten Mädchenschule Marymount umgebaut worden waren. Die Privilegien des Direktorpostens waren offensichtlich. Auf Thibodaux’ Schreibtisch stand eine antike Bronzeskulptur - ein Held, der mit einem Zentaur kämpfte -, auf dem Boden lag ein Savonnerieteppich und an den Wänden hingen Gemälde von Cezanne, Goya und Brueghel.
    »Ms. Cooper, Mr. Chapman, nehmen Sie doch bitte Platz!«
    Er schüttelte uns die Hände und kam dann hinter seinem Schreibtisch hervor, um sich zu uns an den Konferenztisch zu setzen. Vor Ms. Drexler stand ein reich verziertes Silbertablett mit einer antiken Kaffeekanne, aus der wahrscheinlich einmal einem Kaiser oder einer Königin serviert worden war. Sie schenkte jedem von uns in eine gewöhnliche Tasse ein.
    »Ich habe versucht, so viele Informationen wie möglich für Sie zu bekommen, was die Ladung angeht«, begann Thibodaux und klappte einen Ordner mit einem Stoß Papiere auf.
    Drexler setzte sich ihrem Boss gegenüber, während Chapman und ich nebeneinander Platz nahmen. Sie schlug einen ledergebundenen Notizblock auf und notierte Datum, Uhrzeit und unsere Namen. Mike klappte den Pappdeckel seines Stenoblocks auf, für jeden neuen Fall ein neuer Block, und machte sich ähnliche Notizen.
    »Ich habe Kopien des Frachtbriefs für Sie gemacht. Haben Sie schon etwas von dem Gerichtsmediziner gehört?«
    »Nein. Die Autopsie ist gerade im Gange.« Mike nahm die Fotos, die man heute Morgen im Leichenschauhaus geschossen hatte, aus seiner

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