Die Knochenkammer
die die Ärzte und Priester ihrem Leichnam entnahmen. Körperteile der Heiligen, damit sie noch mehr Wunder vollbringen konnten.«
»Sie haben der armen Frau die Knochen herausgeschnitten?«
»Rippen, Muskeln. Wenn sie die Gallensteine fanden, haben sie auch die genommen. Man hat nach Beweisen göttlicher Gnade gesucht und versucht, der Person zu gedenken, die dieses mächtige Gute auf sich zog.«
»Also willst du damit sagen, dass Bernadette mumifiziert war? Auf natürliche Art und Weise, nicht wie in Ägypten, wo sie alle Körperorgane entfernten?«
»Es war wirklich ein Wunder, wenigstens für die Kirche, wenn auch nicht für die Wissenschaft. Ich meine, so wie sie begraben war, hatte niemand damit gerechnet. Sie war zum Zeitpunkt ihres Todes sehr krank gewesen, und die Kapelle, in der man sie begraben hatte, war so feucht, dass alle erwartet hatten, dass das Fleisch verfault sein würde. Immerhin war der Rosenkranz verrostet, das Kreuz in dem Sarg hatte Grünspan angesetzt und sogar ihr Gewand war feucht.«
Mich fröstelte angesichts Mikes Beschreibung. »Das muss sehr selten gewesen sein. Zita, Bernadette -«
»Der Heilige Ubald von Gubbio, die gesegnete Margarete von Savoyen. Soll ich noch mehr aufzählen? Ich kenne meine Heiligen und Jungfrauen besser als die Spielstatistiken der Yankees. Ich bekam in der Konfessionsschule oft genug was auf die Finger, wenn ich dem Katechismus nicht folgen konnte, aber wenn wir diesen Stoff behandelten, war ich ganz Ohr.«
»Irgendwas scheint mir hier entgangen zu sein. Habt ihr zwei nun herausgefunden, wer unser Opfer ist? Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass sie eine Art Heilige ist, oder?«
»Für mich ist sie die Heilige Cleo, die für uns ihr einziges kleines Wunder vollbringt. Ich hätte nie gedacht, dass wir unter diesen Leinentüchern etwas finden würden. Ich hatte gedacht, dass der Leichnam großteils oder völlig verwest wäre. Man muss davon ausgehen, dass die Person, die sie in die Kiste gesteckt und das Versandetikett draufgeklebt hat, damit sie im Hafen von Newark oder im Laderaum eines Frachters auf dem Weg nach Kairo in der Hitze brütet, nicht erwartet hat, dass von dem Opfer irgendetwas überbleiben würde, um sie zu identifizieren.«
»Haben Sie schon die Obduktion gemacht?«, fragte ich Kestenbaum.
»Noch nicht. Aber wir haben sie aus dem Leinen gewickelt und Fotos gemacht. Mike hat Recht. Der Körper ist völlig intakt und in erstaunlich gutem Zustand.«
»Vielleicht ist sie erst innerhalb der letzten Woche gestorben.«
»Unwahrscheinlich. Ich würde sagen, sie ist seit Monaten tot, vielleicht schon fast ein Jahr. Ich werde mehr wissen, sobald ich sie mir genauer ansehe, aber die Haut ist etwas verfärbt und ein bisschen verschrumpelt, die Muskeln sind verkümmert, und die Wimpern an ihrem linken Auge sind ausgefallen und kleben an der Stirn.«
»Und sie trägt Winterkleidung, hab ich Recht, Doc?«
»Ja. Nicht etwas, was man Ende Mai tragen würde. Eine dicke Wollhose und einen langärmligen Kaschmirpulli.«
Kestenbaum holte ein paar Polaroidfotos aus der Tasche seines Laborkittels und gab sie mir. Ich nahm das oberste, um es genauer anzusehen, und reichte die anderen an Mike weiter.
Die junge Frau starrte mich mit ernster Miene an. Die Vorstellung, dass sie länger als ein paar Tage tot war, war erstaunlich. Sie schien ungefähr dreißig Jahre alt zu sein. Ihre Haut hatte einen seltsamen Schimmer, aber es war schwer zu sagen, wie viel das mit der schlechten Qualität der Polaroidaufnahme in dem düsteren Leichenschauhaus zu tun hatte.
»Wenn ich’s dir sage, Coop, sie ist eine Unvergängliche.«
Ihr sandbraunes Haar schien ihr auszufallen, aber ansonsten wirkte sie perfekt konserviert.
»Sie wird uns verraten, was wir wissen müssen. Wo sie die ganze Zeit gesteckt hat -«
»Irgendwelche Ideen, Doc?«
»Denken Sie daran, wie man die Heiligen beerdigt hat. Zahlreiche Pathologen haben diese Fälle studiert, ebenso Religionshistoriker. Die meisten der Unvergänglichen waren vor der Heiligsprechung in Gruften unter Kirchenaltären beerdigt. Das war nicht nur geheiligter Boden, sondern dort war es auf Grund der massiven Steinwände auch sehr kühl. Die Unterbodentemperatur war in der Regel ziemlich niedrig, egal, zu welcher Jahreszeit. Danach sollten Sie suchen, Mike. Nach einem kühlen und trockenen Ort, an dem der Leichnam auf natürliche Weise konserviert wurde.«
»Was ist mit ihr passiert?« Ich studierte das zierliche Gesicht mit
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