Die Knochenkammer
Grooten.«
Thibodaux ging an seinen Schreibtisch, zog die Schublade auf und nahm eine Lesebrille aus einem Metalletui. Er studierte das Foto und zuckte die Achseln.
»Ich treffe hier so viele junge Leute, Detective. Sie müssen mir verzeihen.« Er sah seine Assistentin an. Es war nicht direkt ein Funkeln, aber es kam mir vor wie ein Warnsignal, dass sie sich zurückhalten sollte. »Ich erinnere mich mit Sicherheit nicht an Einzelheiten, Eve. Gibt es einen Grund, warum mir Ms. Grooten im Gedächtnis hätte bleiben sollen?«
Eve hatte sich wieder an den Tisch gesetzt und ihren Notizblock in die Hand genommen. »Ich kann mich irren, Pierre. Es ist möglich, dass Sie gar nichts mit ihr zu tun hatten.«
»Hat sie für uns gearbeitet?«, fragte er mit verdutzter Miene.
»Nicht hier. In den Cloisters.«
Der Großteil der Mittelalter-Sammlung des Met war in den Cloisters untergebracht, einer Sammlung von Elementen und Beständen mehrerer europäischer Klöster, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von einem bekannten Bildhauer nach Amerika verschifft und dann von John D. Rockefeller dem Museum vermacht worden waren. Die Cloisters lagen an einer atemberaubend schönen Stelle im Norden Manhattans mit Blick auf den Hudson River.
»Kennen Sie -?«
Noch ehe Thibodaux den Satz zu Ende sprechen konnte, musste Mike beweisen, dass sich seine Kenntnisse des Met nicht auf eine Abteilung beschränkten. »Fort Tryon Park. Vierunddreißigstes Revier.« Ich konnte mich noch gut an unseren letzten Besuch in diesem Viertel erinnern, als wir in dem Mordfall einer prominenten Kunsthändlerin ermittelt hatten.
»Ich bin mir nicht sicher, was sie dort getan hat«, fuhr Eve fort, »aber sie arbeitete an einem Aspekt der großen Bestiariumsausstellung, die wir zusammen mit dem Naturkundemuseum organisieren und die gestern Abend angekündigt worden ist. Wir hatten mehrere Planungstreffen in diesem Büro. Aber selbstverständlich ist Mr. Thibodaux so häufig im Ausland unterwegs, dass ich mich vielleicht geirrt habe, dass er dabei gewesen war.«
»Es ist schrecklich … ganz schrecklich … dass dieses … dieses Opfer jemand aus unseren eigenen Reihen ist.« Jetzt stellte der Direktor das angemessene Maß an Bedauern zur Schau. Es war mir unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu durchschauen und zu deuten, ob er es auch nur im Geringsten aufrichtig meinte.
»Hätte man sie denn nicht vermisst?«
»Ich werde veranlassen, dass man ihre Personalakte heraussucht, Mr. Chapman«, sagte Eve Drexler und schlug eine neue Seite ihres Blocks auf, um eine Liste dessen zu machen, was getan werden musste. »Was werden Sie noch brauchen?«
»Alles, was Sie haben. Mit wem sie zusammengearbeitet hat, was sie getan hat, wo sie gewohnt hat, von wann bis wann sie hier gearbeitet hat. Natürlich brauchen wir auch jemanden, der die Leiche identifiziert. Wie gut haben Sie sie gekannt, Ms. Drexler?«
Thibodaux’ Assistentin war es offensichtlich nicht gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen. Sie unterstützte ihren Boss, sollte aber selbst im Hintergrund bleiben. »Ich, äh, ich könnte nicht behaupten, dass ich sie gekannt habe. Ich meine, wir saßen beide zwei- oder dreimal gemeinsam an diesem Tisch, aber -«
»Ihr Name ist Ihnen ziemlich schnell eingefallen.«
»Ich habe ein gutes Namens- und Personengedächtnis, Detective. Das ist mein Job.«
»Das ist nicht meine Stärke, Mr. Chapman. Eve steht bei allen Empfängen neben mir und flüstert mir die Namen ins Ohr.« Thibodaux zwang sich zu einem Lächeln. »Je größer ihre Sammlungen, desto leichter scheine ich die Namen zu vergessen, gerade wenn ich sie am dringendsten brauchte. Das ist nicht ganz ungefährlich, wenn man potenzielle Mäzene dazu bringen will, das Met in ihre Nachlassplanung mit einzubeziehen. Jeder von ihnen möchte glauben, dass sie engstens mit mir befreundet sind.«
»Haben Sie jemals allein mit ihr gesprochen? Etwas über sie herausgefunden?«
»Ich erinnere mich daran, einmal mit ihr Smalltalk gemacht zu haben«, sagte Drexler, den Zeigefinger nachdenklich gegen die Stirn gedrückt. »Sie hatte einen Akzent, und da unsere Mitarbeiter aus aller Welt kommen, fragte ich sie natürlich, wo sie herkam. Wie man eben so vor dem Beginn eines Meetings miteinander plaudert, Sie wissen schon. Ich hatte fälschlicherweise auf Australien getippt. Sie ist - entschuldigen Sie, sie war Südafrikanerin.«
»Holländischer Name, richtig?«, fragte Chapman.
»Ja, darüber haben wir uns auch
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