Die Knochenkammer
Jackentasche. »Ich habe die hier mitgebracht, um zu sehen, ob Sie die junge Frau vielleicht gekannt haben. Vielleicht hat sie ja hier im Museum gearbeitet oder so.«
Thibodaux nahm die Polaroidfotos, sah sie an, stutzte und legte sie dann mit dem Gesicht nach unten auf den Tisch. »Nein, ich habe sie noch nie gesehen. Aber wir sind ein sehr großes Museum, Mr. Chapman, und ich könnte nicht behaupten, dass ich auch nur die Hälfte der Leute, die hier arbeiten, kenne.«
»Sie machten einen erschrockenen Eindruck.«
»Das ist doch kein Wunder, oder? So eine junge Frau, es ist eine schreckliche Sache. Ich hätte nie gedacht, dass sie so … so lebendig aussehen würde. So lange in einem Sarg zu liegen, nun -«
»Was meinen Sie mit >so lange«
»Ich habe absolut keine Ahnung, wie lange sie in dem Sarg lag. Es ist nur, dass ich annehme, dass sie nicht erst gestern gestorben ist, Mr. Chapman.«
»Worauf basiert diese Annahme?«
»Hier, warum sehen Sie sich nicht diese Papiere an? Eve hat sie für Sie zusammengestellt.« Er reichte uns eine Kopie des dicken Ordners, und wir besahen uns gemeinsam die Unterlagen. »Obgleich der Lastwagen vom Museum direkt nach New Jersey gefahren ist, bestand die Ladung aus Objekten von einer Reihe von Museen. Wie Sie sehen, haben wir die Belege, welche Kisten wann und von welchen Museen dazu kamen.«
Ich überflog die ersten paar Seiten und blinzelte auf die klein gedruckten Angaben der verschiedenen Herkunftsorte. Da waren Amphoren als Leihgabe des Smithsonian-Museums, afrikanische Masken vom American Museum of Natural History, Mumienbehälter aus der umfangreichen Sammlung des Brooklyn-Museums und asiatische Gemälde vom Getty.
»Ich glaube, Sie haben uns unseren Job gerade tausendfach erschwert. Es scheint so, als ob diese Sachen in denselben Kisten waren wie Ihre. Wie kommt das?«
»Nun, Detective, wie mich Mr. Lissen, der Leiter der Versandabteilung, unterrichtet hat, ist der Grund der, dass sie nach ihrer Ankunft hier umgepackt worden sind, je nachdem, wohin sie unterwegs waren. Wir sind in der letzten Planungsphase einer riesigen Ausstellung, die wir nächstes Jahr veranstalten werden, und im Austausch für einige unserer Schätze, die sich als Leihgabe in anderen Museen auf der ganzen Welt befinden, schicken wir ihnen andere Kunstwerke, um die entstandenen Lücken vorübergehend zu füllen.«
Thibodaux rieb sich die Augen, bevor er weitersprach. Er sah blasser aus als gestern Abend, als er im Scheinwerferlicht auf der Plattform des Tempels von Dendur gestanden hatte. Wahrscheinlich hatte er die ganze Nacht kein Auge zugetan vor Sorge, wie sich dieser schreckliche Fund auf das Museum auswirken würde. Sein französischer Akzent schien heute ausgeprägter zu sein, vielleicht auf Grund seiner Erschöpfung.
»Dieser Sarkophag - Nummer 1983 / 752 - ist auf Seite zwölf des Inventars aufgeführt.«
Chapman blätterte zu der entsprechenden Stelle. »Dieser Sarg ist letzten Herbst hierher zurückgekommen. Sie hatten ihn an das Chicago Art Museum ausgeliehen, richtig?«
»Scheint so.«
»Und seitdem ist er hier gewesen. Wissen Sie, wo?«
»Ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass Ihnen das irgendjemand ganz genau sagen kann.« Thibodaux stand auf und ging an seinen Schreibtisch, öffnete die Schublade und schüttelte zwei Tabletten aus einem Pillenröhrchen in seine Hand. Er spülte sie mit etwas Eiswasser hinunter, das in einer Kristallkaraffe neben seiner Schreibtischunterlage stand. Gegen sein Kopfweh würden auch Tabletten nicht helfen.
»Und der andere Kram in der Kiste stammte alles aus New Yorker Museen? Sehe ich das richtig?«
Thibodaux kam wieder an den Tisch und nahm seinen Ordner in die Hand. »Ja, diese spezielle Kiste war voller Exponate, die nach Kairo unterwegs waren, hauptsächlich aus dem Naturkundemuseum drüben auf der anderen Seite des Parks und dem Brooklyn Museum. Manche Exponate sollten in Ägypten bleiben, einige an andere Orte in Afrika verschifft werden. Sehen Sie das Ausmaß dieses Problems, Detective? Im Met arbeiten fast dreitausend Leute. Wir haben über dreißigtausend Quadratmeter Ausstellungsfläche, Hunderte von Ausstellungsräumen und Dienstleistungsbereichen. Es gibt eine Feuerwehr, mehrere Restaurants, eine Krankenstation und ein Kraftwerk. Ich weiß gar nicht, wie wir die alle wegen . wegen .« Er deutete auf das kleine Polaroidfoto, auf das er seine Kaffeetasse gestellt hatte.
»Wegen der jungen Frau, die vielleicht in diesen Mauern
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