Die Knochentänzerin
die Einsamkeit auf dem Gipfel der Macht zu versüßen und mein Herz sprechen zu lassen, wenn du um schwere Entscheidungen ringst.«
»Sag mir, was ich tun soll«, knurrte er ungeduldig.
Sie hob den Kopf. »Also gut. Ich sag es dir. Spiel sie gegeneinander aus.«
»Die Engländer und Franzosen?« Faliero blickte ins Leere. »Diesen Plan hatte ich auch schon einmal. Ich musste ihn für Oradini opfern. Allerdings ist das Ganze eine Frage der Geduld. Früher oder später werden sie sich gegenseitig den Todesstoß versetzen, so oder so.«
Aluicha schüttelte den Kopf. »Vater sagt, der Krieg wird noch ewig dauern. Bisher fügen sie sich Edward und Johann nur Nadelstiche zu. Mal siegt der eine, dann wieder der andere. Es geht hin und her, ohne dass einer gewinnen kann.«
»Das ist gut. Irgendwann sind beide so geschwächt, dass sie keine ernst zu nehmenden Konkurrenten mehr sind.«
»Irgendwann! Willst du noch zwanzig Jahre warten, bis du der Mächtigste bist? Ich sag es dir ehrlich: Ich bin nicht die Frau, die immerzu nur darauf wartet, bis das Schicksal endlich ein Einsehen hat. Mein Platz ist an deiner Seite, weil ich hoffte, du bist ein Mann, der den Stier bei den Hörnern packt – und kein Zauderer, der bis zum Grab auf Wunder hofft. Jetzt! Jetzt ist es an der Zeit, die Zügel in die Hand zu nehmen. Sag den Engländern die Hilfe Venedigs zu, gleichzeitig den Franzosen. Schüre das Feuer so geschickt, dass sich beide daran verbrennen. Sie sollen sich gegenseitig vernichten. Dann gebührt Venedig der Sieg, und du erntest den ganzen Ruhm.«
»Hast du nicht selbst gerade gesagt, sie fügen sich nur Nadelstiche zu? Wie sollte ich sie dazu bringen, dass sie sich den Todesstoß versetzen?«
»Vater sagt, an Land wird es nie geschehen. Man muss sie aufs Meer locken. Du weißt selbst, dass beide diesen Schritt nicht wagen – es sei denn …« Aluicha blickte Faliero erwartungsvoll an. Tatsächlich beendete dieser nun ihren Satz:
»… sie wüssten die Kriegsflotte der Serenissima auf ihrer Seite.« Faliero blickte nachdenklich über Aluicha hinweg.
Als er schwieg, hakte sie nach: »Du bist der
commandante
der Flotte.«
»Trotzdem werde ich den Großen Rat nie dazu bringen, einem solchen Plan zuzustimmen.«
»Tu es ohne Zustimmung. Hast du nicht selbst einmal gesagt, du hast die stundenlangen Diskussionen satt, die nie zu einem Ergebnis führen?«
»Und wie?«
»Nimm dir einfach die Macht, die du brauchst.«
Faliero lachte verächtlich: »Man kann nicht einfach im Großen Rat aufstehen und sagen: Her mit der Macht.«
»Ich weiß.« Aluicha argumentierte nüchtern: »Du änderst die Gesetze, in denen deine Befugnisse und die des Rates festgelegt sind.«
Wieder lachte Faliero. »So etwas nennt man einen Staatsstreich. Darauf steht der Tod.«
»Nicht doch.« Aluicha tätschelte seine Hand. »Du musst es nur richtig einfädeln. Stimmen die Räte solchen Gesetzen zu, kann dir niemand etwas anhaben.«
»Sie wären schön dumm, wenn sie ihrer eigenen Entmachtung zustimmten.«
»Das kommt darauf an. Wenn sie Vorteile sehen, die verlockend genug sind, werden sie zustimmen. Wie viele Räte brauchst du für eine nötige Mehrheit?«
»Elf.«
»Wähle diese elf sorgfältig aus. Nimm zuerst die, die dir ergeben sind. Bezahle den Rest so gut, dass sie es werden. Das ist die ganze Kunst.«
Faliero wanderte unschlüssig auf und ab.
Aluicha ließ nicht locker: »Glaub mir, jeder ist käuflich. Alles hängt nur vom Preis ab. Allerdings denke ich, die Ausgaben werden sich lohnen.«
»Das wird eine Menge kosten«, knurrte Faliero. »An Überzeugungskraft und Geld.«
»Geld haben wir genug«, erwiderte Aluicha. »Denk daran, auch meine Familie ist reich. Jetzt geht es nur darum, die Mittel richtig anzulegen.«
Faliero löste sich von ihr. Er nahm den Weinkelch und schritt wieder zum Fenster. Über der Lagune waren Wolken aufgezogen. Schatten flogen, und Windböen zogen Striche ins Wasser. »Es wird regnen«, sagte Faliero, während die Gedanken hinter seiner Stirn rasten.
45
Charon
D er Mann, dem das Boot gehörte, nannte sich Cei, und er behauptete, der Name stamme von einem seiner Vorfahren, der ein Ritter der Tafelrunde König Artus’ gewesen sei. Beinahe hätte ich ihn ausgelacht, denn wie ein Ritter sah er wahrlich nicht aus, dann schon eher wie der Kater auf Icolmkill, der sich an den Essensresten aus der Klosterküche fettgefressen hatte. Er behauptete noch viele andere Dinge, die nicht wahr sein konnten, tat
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