Die Knochentänzerin
Vogelweide darunter?«
»Walther – wer?«
»Von der Vogelweide. Glaubt man den Chronisten, so war er der größte Minnesänger aller Zeiten. Oder Reinmar von Zweter.«
»Ach die beiden! Ja, natürlich, das waren sogar die Anstifter der Bande, denn einen von ihnen sollte das Los am nächsten Tag für mich bestimmen. Es geschah Folgendes: Als ich schlief, überfielen sie mich, legten mir eine Schlinge um den Hals und hängten mich an den nächstbesten Galgen. Da ich einen sehr festen Schlaf habe, wachte ich davon aber nicht sogleich auf, sondern erst am nächsten Morgen.«
»Du wurdest gehenkt und warst nicht tot?«
»Sehe ich tot aus? Ha! Nein. Ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmte, als ich gähnen wollte und mich streckte, aber schlecht Luft bekam. Ich beschwerte mich und forderte, man solle mich sofort abhängen. Doch die elf übrigen Sänger lachten nur und riefen mir zu, wenn ich wirklich so gut wäre wie behauptet, könnte ich genauso gut vom Galgen aus singen. Einverstanden, rief ich zurück, ließ mir mein Instrument bringen und sang – trotz meiner wegen der Schlinge etwas krächzenden Stimme – alle Gegner in Grund und Boden.«
»Auch Walther von der Vogelweide?«
»Selbstverständlich, auch den. Und diesen Rainer von und mit Gezeter …«
»Reinmar von Zweter!«
»Genau. Am Ende hatte ich von meinem Galgen aus einen wunderbaren Blick auf all die Gehenkten, die verloren hatten. Walther und Reinmar waren natürlich auch dabei.«
»Und dann?«
»Dann eilte der Thüringer Landgraf herbei und schnitt mich eigenhändig herunter.« Cei strich über seinen Hals. »Dies ist die Geschichte meiner Narbe. Ich habe sie schon auf vielen Marktplätzen erzählt und stets war mein Hut danach voll mit Gold und Silber.« Cei erklärte großzügig: »Ihr seid meine Freunde, deshalb habe ich es euch umsonst erzählt.«
»Gott segne dich dafür«, bedankte William sich höflich.
»Gern geschehen.« Auf dem Bänkchen am Ruder sitzend, verneigte Cei sich elegant vor seinem Publikum.
Am nächsten Tag steuerte Cei den Kahn ans Ufer und forderte uns auf, ihn an Land zu ziehen.
»Warum legen wir jetzt schon an? Es ist helllichter Tag?« Williams Blick glitt vom Stand der Sonne zum Ufer.
»Dies ist das vorläufige Ende unserer Flussfahrt«, erwiderte Cei.
William blickte sich ratlos um. Der breite Fluss zog träge über eine Ebene dahin, die Ufer waren mit niedrigem Buschwerk gesäumt. »Ich sehe nirgendwo das Meer.«
»Kannst du auch nicht. Hier ist weit und breit kein Meer.«
»Sagtest du nicht, die Donau fließt zum Meer?«
»Tut sie auch. Doch nicht zu dem Meer, zu dem wir wollen. Aber keine Sorge, hinter den Bergen gibt es einen anderen Fluss – und noch einen und noch einen – und dieser mündet schließlich ins richtige Meer.«
»Hinter den Bergen? Wie kommen wir da hin?«
Cei zuckte mit den Schultern. »Wie kommt man über einen Berg? Eine Frage, die einfach zu beantworten ist. Zu Fuß natürlich.«
»Vielleicht kannst du das Boot vorher verkaufen«, schlug William vor.
Cei lachte. »Verkaufen? Niemals! Wir nehmen es mit.«
»Wie denn?«
Cei deutete auf die Wagenräder. »Jetzt dürft ihr raten, wofür die sind. Und noch ein Rätsel habe ich: Womit bezahlt ihr die Fahrt?«
»Du hast gesagt, wir müssen nichts bezahlen.«
Cei lachte.
Das Schicksal – oder Gott der Barmherzige – hatte uns einen Esel an den Wegrand gestellt und an einen Baum gebunden.
»Welch ein Glück!«, rief Cei und band in sofort los.
Ich blickte mich um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Trotzdem zweifelte ich. »Das Tier gehört bestimmt einem armen Mann. Wir können es nicht einfach mitnehmen. Vielleicht ist es sein einziger Besitz, er braucht es für die Feldarbeit, und ohne seine Hilfe müssen Frau und Kinder verhungern.«
»Unsinn«, erwiderte William.
Cei erklärte: »Es ist genau umgekehrt. Irgendjemand hat das arme Tier hier angebunden und ist einfach weggegangen. Ohne uns würde
der Esel
verhungern! Wir wollen ihn Moses nennen.« Ceis Oberkörper verschwand im Kahn, der vornübergekippt und auf den Wagenrädern ruhend reichlich seltsam aussah. Als er wieder auftauchte, hielt er allerlei Lederriemen in der Hand. »Helft mir mal«, befahl er, »daraus müssen wir ein Geschirr für den Esel knoten.«
Zusammen mit den Seilen und zwei dünnen Bäumchen, die William gefällt und mit dem Beinmesser von Ästen und von Rinde befreit hatte, ergab sich schließlich ein brauchbares Konstrukt. Wir spannten
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