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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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dies aber mit einer Inbrunst und Überzeugungskraft, dass man am Ende zweifelte, ob man ihm nicht doch Glauben schenken sollte. Seinen fetten Hals zierte eine wulstige, rötlich nässende Narbe, die er üblicherweise unter einem dreckstarrenden Tuch verbarg. Diese Narbe gab den Nährboden für eine seiner vielen Geschichten, denn das war er: ein Geschichtenerzähler. »Nun höret denn, was ich euch singen werde«, begann er stets, und begleitete seine Verse, indem er die Saiten eines undefinierbaren Instruments misstönend zupfte – und selbst von diesen Saiten wusste er eine Geschichte zu erzählen. »Nun höret denn, was ich euch singen werde, einst lebte ein Ungeheuer mit Schwingen so weit wie ein Hausdach, und wenn es flog, dann rauschte es wie im Sturm. Der Atem des Drachen war ein Feuersturm, und damit brannte er ganze Dörfer nieder und fraß die Gebeine der Verbrannten mit einem Knacken, das klang wie das Bersten von Baumstämmen. Also wurde ich beauftragt, um das Untier zu töten.«
    »Du?«, fragte ich mit großen Augen, während wir auf seinem Kahn die Donau hinuntertrieben.
    »Ich«, bestätigte Cei ernst und zupfte einen schrägen Ton. »Ich stieg auf einen Berg, von dessen Klippen herab sah ich den schlafenden Drachen. Aus großer Höhe sprang ich auf seinen Nacken, wo, wie ich wusste, die Stelle lag, die ich mit dem Dolch durchbohren musste. Dies war ein winziger Punkt, nicht größer als das Auge einer Ratte, doch gerade, als ich ihn gefunden hatte und meinen Dolch zum tödlichen Stoß hob, erwachte das Untier, schüttelte sich, dass ich herumgeschleudert wurde wie ein Blatt im Herbstwind, und flog los.«
    »Du bist auf dem Rücken des Untiers geflogen?«
    »Bis hoch hinauf in den Himmel. Der Drache spuckte sein Feuer und schüttelte sich immer wieder im Flug, so dass es mir zunächst unmöglich war, den tödlichen Punkt zu treffen. Unzählige Male und mit wachsender Verzweiflung stieß ich mit dem Dolch zu, der Drache flog immer höher, und es wurde eisig kalt. Als die Erde schon nicht mehr zu sehen war, traf ich endlich. Ein feiner Strahl von Drachenblut strömte aus dem Panzer des Untiers hervor und gefror sofort zu einem dünnen Faden, der immer länger wurde. Sterbend schwebte der Drache zurück zur Erde, ich sah ein riesiges Meer unter uns, wo wir schließlich landeten und noch drei Tage und Nächte trieben, bis das Untier sein Leben mit einem letzten gewaltigen Feuerstoß aushauchte. Dieser endgültige feurige Atemzug wie der Feuerschweif des Sterns von Bethlehem verbrannte das Wasser und teilte das Meer wie zu Moses Zeiten, als er die Israeliten trockenen Fußes ins Gelobte Land führte. Die Wasserwände erstarrten zu Stein. Zunächst wusste ich nicht, wie ich vom Rücken des riesigen Drachens hinunter auf den trockenen Meeresgrund gelangen sollte. Da sah ich die Schnur des gefrorenen Drachenbluts, daran band ich mich fest und hangelte mich hinunter.«
    »War es unten immer noch eisig kalt? Oder warm?«, fragte William scheinheilig.
    »Warum willst du das wissen? Das tut doch nichts zur Sache.«
    »Doch.«
    »Es war natürlich warm. Sehr sogar.«
    »Warum ist das gefrorene Drachenblut nicht wieder aufgetaut?«
    »Tut Drachenblut nie. Einmal gefroren, immer gefroren.« Cei schrammte über sein Instrument. »Außerdem wären ja dann die Saiten nicht mehr da. Sind sie aber. Denk lieber gründlich nach, bevor du noch mehr dumme Fragen stellst. Und lass mich jetzt weitererzählen.«
    »Selbstverständlich. Bitte fahr fort.«
    »Danke. Unten am Boden angelangt, schnitt ich den Faden in drei gleichlange Stücke, steckte diese in meinen Gürtel und marschierte los. Ein ganzes Jahr lang war ich in der Meeresgasse unterwegs, bis ich endlich wieder festes Land erreichte.«
    »Eigenartig«, sinnierte William.
    »Was denn?«
    »Dass du nicht verhungert bist.«
    Cei lächelte das Siegerlächeln des Überlegenen. »Nicht doch. Überall lagen ja die Fische, die der Atem des Drachen gebraten hatte. Ich musste sie nur aufsammeln und essen.«
    »Sehr praktisch, eigentlich«, schmunzelte William.
    »Nicht wahr? Jedenfalls, als ich endlich ans Ufer des Ozeans gelangte, fand ich ein Stück Treibholz, innen hohl, mit einem langen dünnen Ende. Darauf spannte ich die Schnüre aus gefrorenem Drachenblut.« Cei griff demonstrativ in die Saiten. »So fertigte ich dieses wunderbare Instrument.«
    »Wunderbar fürwahr«, bemerkte ich mit gerunzelter Stirn.
    Auch William wirkte nachdenklich, als er meinte: »Irgendwie

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