Die Knochentänzerin
Hölle. Es muss wohl so gewesen sein: Das Volk floh, das Unwetter löschte das Feuer, und so konnten die beiden entkommen. Es ist seltsam.« Faliero hielt inne und blickte wieder zur Lagune.
»Was ist seltsam?«
»Ausgerechnet jetzt taucht diese Frau wieder auf.«
»Hier in Venedig?«
»Nein, in Prag. Es war wie damals, nur dass sich der Mörder in Prag nicht beirren ließ. Er hatte das Messer bereits zum tödlichen Stoß erhoben. Plötzlich stand sie da, in Begleitung eines jungen Mannes. Man konnte die Überraschung, ja das Entsetzen des Engländers für einen Augenblick beinahe mit Händen greifen. Dann stieß er zu und floh.«
»Und weiter?«
»Geistesgegenwärtig schrie ich sofort, dass sie den Dogen ermordet haben. Da rannten sie davon. Es ist nur …«
»Was?«
»Es ist eigenartig. Die Irin schien völlig unverändert.«
»Was meinst du damit – unverändert?«
Faliero dreht sich vom Fenster weg zu Aluicha. »Es ist beinahe sechzehn Jahre her, dass ich sie zum letzten Mal sah. Und trotzdem schien es, als wäre sie um kein einziges Jahr gealtert. Sie schien noch genauso jung wie damals.«
Aluicha beobachtete Faliero genau. Ihr Blick war eine Mischung aus Neugierde und Belustigung. »Erzähl mir mehr von dieser Frau. Mir scheint, sie hat einen tiefen Eindruck auf dich gemacht.«
Faliero winkte verärgert ab. »Eine billige Hure, die das Unglück verteilte wie Almosen.«
»Was machst du bloß mit deinen Huren? Eine gießt du in Glas, die andere willst du auf dem Scheiterhaufen verbrennen …«
»Das hat nichts miteinander zu tun!«, erwiderte Faliero heftig. Sofort bereute er seinen Ausbruch.
Eine Armlänge von ihm entfernt betrachtete Aluicha ihn interessiert und stellte nun sachlich fest: »Entweder du hast sie geliebt, oder du hast sie nicht bekommen. Oder beides.«
»Blödsinn«, knurrte Faliero.
Aluicha nickte schweigend, als habe er ihre Aussage nicht verneint, sondern bestätigt. »Wie dem auch sei«, lächelte sie schließlich. »Nach wie vor würde ich gerne wissen, ob und wie du in den Krieg einzugreifen gedenkst.«
Faliero wanderte wieder auf und ab. »Ich habe diesem Engländer mein Wort gegeben, also muss ich dazu stehen. Auch ist es nicht allein meine Entscheidung. Letztlich beschließt der
maggior consiglio
über die Rolle der Serenissima. Mag sein, der Rat bestimmt, dass Venedig sich ganz aus der Sache heraushält.«
»Soll ich dir sagen, was ich denke?«
»Ich glaube nicht …«
»Du hast dein Wort einem Mörder gegeben. In diesem Fall gilt es nicht, sonst stellst du dich auf eine Stufe mit ihm. Im Gegenteil, du solltest ihn täuschen, um deutlich zu zeigen, dass du die Tat missbilligst. Was den Großen Rat betrifft, so liegt es an dir, welche Rolle du zukünftig spielst. Willst du das Hündchen sein oder der Löwe?«
Faliero ging plötzlich auf Aluicha zu und packte sie mit einer Hand an der Kehle. Sie spürte seinen Speichel, als er blaffte: »Weib, du bist eine Schlange und zischst, ich soll dies tun und das! Was bezweckst du?«
Aluicha legte sanft ihre Finger auf sein Handgelenk und lächelte: »Ich liebe es, wenn du grob wirst. Du fragst, was ich bezwecke? Weißt du es nicht?«
Langsam ließ Faliero die Hand sinken. Er starrte Aluicha an: »Sag es mir.«
Aluicha flüsterte: »Ich will, dass deine Träume wahr werden. Ich will dir den Mut schenken, dass du das tust, wonach du strebst. Denn ohne mich bist du zu feige dazu.«
»Wie kannst du es wagen!« Wütend stapfte Faliero auf und ab. Trotz seines Zorns, dass sie die Frechheit besaß, so mit ihm zu reden, erkannte er, dass alles, was sie sagte, der Wahrheit entsprach. Er hasste es, dass der
maggior consiglio
mehr Macht besaß als er! Er hasste die Engländer, allen voran diesen Edward, der sich anmaßte zu glauben, ihm allein stünde die Herrschaft über alle Länder zu! Er hasste Johann von Frankreich, der von Kunst und Literatur schwafelte, aber nicht in der Lage war, einen Krieg zu gewinnen. Und er hasste sich selbst am meisten, weil er zu schwach war, die Dinge so zu ändern, dass sie seinen Vorstellungen entsprachen. Abrupt blieb er wieder stehen und funkelte sie an: »Also gut! Wenn du so genau weißt, wie man die Welt regiert, dann sag mir: Was soll ich tun?«
Aluicha blickte ihn mit großen Augen an. Dann trat sie vor und schmiegte sich an ihn. Ihre Hand fuhr durch sein Haar. »Ich weiß doch nicht, wie man die Welt regiert. Nur du weißt das, du! Ich bin nur das Weib an deiner Seite, dazu bestimmt, dir
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