Die Knochentänzerin
ich hab ihn mir natürlich angesehen. Schließlich kreisen die Gerüchte um die beiden wie Fliegen um einen toten Fisch.«
»Gerüchte?«
»Ja. Von ihm heißt es, er biete der Stadt eine wertvolle Reliquie zum Kauf an: den Mantel des San Marco. Doch weitaus interessanter sind die Geschichten, die man sich in den Gassen und auf den Kanälen von deiner kleinen rothaarigen Hure erzählt.«
»Erstens nicht
meine
und zweitens nicht
Hure
. Und was erzählt man sich denn?«
»Interessante Dinge. Zum Beispiel, dass sie ein perfektes Abbild ihrer Mutter sei. Und die wäre selbst einmal in Venedig gewesen, und du hättest sie als Geliebte begehrt, doch sie wies dich ab. Das konnte der große Faliero natürlich nicht auf sich sitzenlassen, und so habe er sie zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Da sie eine Hexe war, wurde nicht nur sie vom Feuer verschlungen, sondern beinahe ganz Venedig – durch ein furchtbares Unwetter, das sich, während die Henkersknechte das Reisig aufschichteten, wie aus dem Nichts über der Lagune zusammenbraute und dann, als die Flammen um den Schandpfahl loderten, über die Piazza hereinbrach, als hätte der Leibhaftige persönlich alle Tore der Hölle geöffnet, damit seine Gespielin so schnell als möglich Einlass fände. Nur dem Mut eines Priesters, der mit Gebeten dem Satan widerstand, sei es zu verdanken, dass Venedig nicht in der Apokalypse versank.«
»Blödsinn. Der Priester war der Erste, der vor dem Unwetter davonrannte.«
»Wie dem auch sei.« Aluichas Augen wurden schmal. »Was hast du diesmal mit der Tochter vor? Und ihrem Begleiter?«
»Nichts.« Faliero zuckte mit den Schultern. »Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen, außer vielleicht, dass sie irrtümlich am falschen Steg anlegten.«
»In Venedig verschwanden schon Ausländer mit weitaus geringeren Vergehen auf Nimmerwiedersehen. Glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du die kleine Dirne ansiehst und dass sie hier im Palazzo inzwischen ein und aus geht? Willst du jetzt mit der Tochter nachholen, was du von der Mutter nicht haben konntest?«
»Jetzt weiß ich, woher das Gift in meinen Eingeweiden kommt«, knurrte Faliero. »Du verspritzt es.«
»Ich warne dich«, erwiderte Aluicha, wobei sie zuckersüß lächelte und ihm sogar noch einen Kuss auf die Stirn hauchte. »Wenn du ein falsches Spiel mit mir spielst, wirst du es bereuen.«
Faliero packte grob ihren Arm, zog sie heran und suchte ihre Augen, die wie schwarze Tinte schwammen. »Droh mir nicht, du kleine …«
»Kleine – was?« Ungerührt hielt sie seinem Blick stand und löste Finger für Finger seinen Griff, der einen weißen Abdruck auf ihrem Arm hinterließ. »Kümmere dich lieber um die wichtigen Dinge.«
»Als da wären?«
»Vendramin und Grimani.«
Faliero sprach wie zu sich selbst: »Ich darf jetzt keinen Fehler machen. Einige legen mir schon den Tod Dandolos zur Last.«
Aluicha runzelte die Stirn. »Wie das?«
»Man meint, der Doge hätte nie nach Prag reisen sollen. Ich sei derjenige gewesen, der die
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zu diesem Staatsbesuch überredete. Schon einmal erging es einem Dandolo in der Fremde schlecht. Enrico Dandolo begab sich auf einen Kreuzzug und wurde von den Türken geblendet. Und prompt, als sei es eine Strafe des Himmels, wird nun sein Nachkomme in Prag ermordet. In Venedig wäre dies nie passiert.«
»Enrico Dandolo wird seither beinahe wie ein Heiliger verehrt.«
»Mag sein. Trotzdem bringt man mich mit Pietro Dandolos Tod in Verbindung.«
»Na und?« Aluicha griff nach dem silbernen Glöckchen und drückte es Faliero in die Hand. »Beweisen kann man gar nichts. Und vor allem musst du in Sachen Vendramin und Grimani etwas unternehmen, und zwar jetzt gleich. Sie dürfen keinesfalls die Möglichkeit erhalten, sich deinen Plänen entgegenzustellen. Sonst könnte alles umsonst gewesen sein.«
Faliero zögerte zunächst. Doch Aluicha hatte zweifellos recht. Sollte er jetzt Schwäche zeigen, so könnte dies fatale Folgen haben. Jetzt galt alles oder nichts. Er läutete nach dem Diener. Obwohl niemand im Raum anwesend war, der das Folgende nicht hören sollte, flüsterte Faliero dem Diener die beiden Namen ins Ohr. Mit normaler Lautstärke fügte er hinzu: »Sie sollen herkommen. Jetzt sofort.«
49
Marino Faliero, der Doge, lässt bitten
I ch war erst seit ein paar Tagen in Venedig, doch schon hatte ich viel vom Wesen der Stadt begriffen. Faliero, der Doge selbst, hatte Venedig mit einer Hure verglichen, geschmückt,
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