Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
Vom Netzwerk:
Ich schüttelte mich, dass mein Haar den Kopf umloderte. Die Hand, die nach meinem Kinn greifen wollte, stieß ich weg und rief: »Ich bin nicht Sinead! Das ist der Name meiner Mutter! Cailun! Ich heiße Cailun!«
    Der Mund blieb dem Dogen offen stehen. Er wollte etwas sagen, hob die Hand erneut und ließ sie wieder sinken. Als er endlich die verlorenen Worte wiederfand, klangen sie heiser und zögernd: »Du … bist … die Tochter?« Schließlich drängte ein Lachen aus ihm heraus, das zunächst nicht enden wollte, dann aber umso unvermittelter abbrach. Wo … wo ist deine Mutter? Ist sie doch auf dem Scheiterhaufen verbrannt?«
    »Auf dem Scheiterhaufen? Wie hätte sie mich dann geboren? Nein, sie ist bei meiner Geburt gestorben.«
    Marino Faliero, der Doge Venedigs, blickte nun nachdenklich, gar verwirrt. Wieder begann er, Kreise um mich zu ziehen, die er nur einmal kurz unterbrach, wohl um etwas zu sagen, was er aber unterließ.
    Stattdessen redete ich: »Ihr kanntet meine Mutter? Ihr sprecht von einer Hinrichtung? Warum hieltet Ihr mich für sie? Könnt Ihr mir nicht all diese Rätsel erklären?«
    Der Doge beendete seine Wanderung um mich herum. Er sah mich an, schüttelte den Kopf, lachte und wurde wieder ernst. Er zog zwei Stühle heran und stellte sie gegenüber. »Setz dich.«
    Zögernd ließ ich mich auf dem blauen Samtstuhl nieder, der auf vier zierlich geschwungenen Beinchen ruhte. Kaum konnte ich glauben, sie würden mein Gewicht tragen. Doch selbst Falieros imposanter Gestalt, die nun auf dem Zwillingsstuhl saß, hielten sie stand.
    »Was bin ich nur für ein alter Dummkopf!« Immer noch kopfschüttelnd versuchte sich der Doge an einem warmen Lächeln, das ihm misslang. »Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin! Natürlich! Mutter und Tochter. Das ist das Geheimnis.«
    Ich versuchte aus diesem seltsamen Mann schlau zu werden. Wie ein Gockel in seinem goldenen Gewand, Eis im Blick, und doch ein Aufruhr im Inneren, den offensichtlich mein Erscheinen bewirkt hatte.
    Ich ließ die auf Icolmkill erlernte Demut sprechen: »Ich bitte Euch inständig! Erzählt mir von meiner Mutter. Ich kannte sie doch nicht. Ihr aber anscheinend schon.«
    Faliero sammelte sich. Er faltete die Hände wie zum Gebet. Dann begann er: »Zunächst einmal ist es gut, dass ich dich nun nicht töten muss. Das Schicksal deiner Mutter nämlich war es, auf dem Scheiterhaufen zu sterben.«
    »Ihr Schicksal war es zu sterben, damit ich leben konnte.«
    »Wohl wahr. Dem Feuer jedenfalls, so schien es, entkam sie damals.«
    »Ihr wolltet meine Mutter verbrennen? Warum? Was hatte sie Euch getan?«
    Faliero lachte unsicher und zog die Stirn in Falten. »Mir? Nun ja. Mir hat sie nichts getan. Doch sie hatte den Tod aus vielerlei Gründen verdient. Sie war die Komplizin eines Mörders, der nicht nur einen früheren Dogen töten wollte, sondern auf dem Schlachtfeld von Crécy den böhmischen König ermordete. Hier in Venedig hofierte sie als falsche Prinzessin, und dann wollte sie das Geheimnis der Glasbläser von Murano verraten. Dem jetzigen König der Böhmen verdrehte sie so den Kopf, dass es ihm schlecht erging. Hier in Venedig wurde sie schließlich gefangen.«
    »Und dann habt Ihr sie zum Tode verurteilt?«
    »Nein. Zunächst nicht. Ich bot ihr einen Handel an, der ihr sogar die Freiheit hätte schenken können. Doch sie zeigte sich nur starrsinnig und ging auf mein Angebot nicht ein.«
    »Was für ein Angebot?«
    Falieros Miene wurde wieder zur Maske. »Ich bot ihr Leben und Freiheit für gewisse Dienste an. Doch deine Mutter zeigte keinerlei Dankbarkeit für meine Großmut. Somit hatte sie selbst ihr Todesurteil gesprochen.«
    »Gewisse Dienste?«, fragte ich, mit einer dunklen Ahnung, worum es dabei gegangen war.
    »Ja. Wie dem auch sei.« Der Doge zog es vor, sich nicht weiter darüber auszulassen. »Das ist alles Vergangenheit. Wenden wir uns der Gegenwart zu. Wie es scheint, will das Schicksal, dass sich unsere Wege immer wieder kreuzen. Zuerst in Prag, in jenem schrecklichen Augenblick, und nun hier, in meiner Stadt.«
    »Warum habt Ihr behauptet, wir hätten den Mord begangen?«
    »Ich war wie im Schock. Vor meinen Augen wurde mein Doge erstochen! Da dachte ich wohl, der Mörder und ihr hättet gemeinsame Sache gemacht. Es war ein furchtbares Verbrechen. Der böhmische König ist untröstlich, dass es in seiner Stadt verübt wurde. Schon bald kommt er nach Venedig, um Sühne zu leisten. Das führt zu meiner nächsten Frage:

Weitere Kostenlose Bücher