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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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weinte. Von dem zuvor verspürten Glück war nichts übrig geblieben. Würde es je ein Zuhause für mich geben? Eine Familie, Kinder? Derjenige, der mir das geben sollte, schlief tief und fest. Aber eine Mutter hatte ich nie gehabt, und den Vater, von dem ich stets träumte, würde es nie geben. War nicht von Beginn an mein Schicksal besiegelt? Ausgesetzt auf einem Eiland im Nirgendwo unter herrschsüchtigen Nonnen, lüsternen Mönchen, Schafen, einer endlosen Abfolge von Stürmen – und schließlich von der Verzweiflung verführt zum Tanz auf heiligen Gebeinen. Von da an herumgewirbelt, von einem Ort zum anderen, ohne irgendeine Hoffnung, einmal dort anzukommen, wo ich hingehörte. Beinahe war ich mir jetzt sicher. Mein Zuhause war nirgendwo. Ich würde bis in alle Ewigkeit heimatlos umherirren. Und an welchem Ort auch immer ich auftauchte, egal wo, stets war auch der Tod zur Stelle und machte sich über die her, die mir etwas bedeuteten.
    Nur einer schien ausgenommen: William. Warum? Weil er damit handelte? Mit dem Tod?
    Im Nebel wanderten meine Gedanken zurück zum Dogen. Marino Faliero. Was genau war damals vorgefallen? Wenn er von meiner Mutter sprach, war seine Maske eine ganz andere. Oder zeigte er mir da sein wahres Gesicht? Was sah ich darin? Trotz? Verletzten Stolz mit einem Schimmer von Sehnsucht, bedeckt von einem durchsichtigen Tuch aus vorgetäuschter Beiläufigkeit? Ich nahm mir vor, von ihm alle Einzelheiten zu erfragen, denn ich spürte, dass es damals um mehr gegangen war als um das Bestrafen verschiedener Verbrechen. In einem Zimmer seines Palasts stand ein Becken mit Fischen, die aussahen wie große grüne Aale. Raubfische. Sie peitschten das Wasser, wenn es Futter gab, das aus kleinen Fischen bestand, die der Doge in das Becken warf. Dann sah er zu, während die Muränen die Beute fraßen. Damit erklärte er die Welt.
    »William«, flüsterte ich dem Schlafenden zu, »der Doge umschmeichelt mich mit schönen Worten, hat mir neue Kleider geschenkt und lädt mich in seinen Palast ein. Tief in mir ist eine Stimme, die flüstert, wir sollten schnell weiterziehen. Doch ich muss herausfinden, was damals mit meiner Mutter geschah. Hat sie es auch gespürt? Dass diese Stadt, in der man den Tod riechen kann – dieser Doge mit seinen Masken und seinen Muränen –, dass all dies Unheil in sich trägt? Und dass man trotzdem bleiben muss?«
    William seufzte im Schlaf und rollte sich zur Wand.
    »Liebster, das Unglück brennt in meinem Herzen. Man muss nicht kundig sein, die Sternbilder zu lesen, um das zu wissen.« Ich stand auf und ging ruhelos auf und ab. Dann flüsterte ich hinaus in den Nebel: »Vater. Wo bist du? Warum bist du nicht hier bei mir? Willst du mich finden? Nein, das willst du wohl nicht. Du hast mich in Prag gesehen, und wenn ich dir etwas bedeutete, würdest du wenigstens nach mir suchen. Aber ich glaube nicht, dass du das tust. Du bist ein Mörder. Dich interessiert nur eins: das Töten.«

    Auch am nächsten Morgen legte – wie an den Tagen zuvor – eine Gondel des Dogen vor dem Gesindehaus an. Ein Diener in glänzender Uniform schritt mit gewichtiger Miene über den schmalen Steg, schlug den Türring auf die Bronzeplatte, trat dann ein und blieb vor unserer Kammer stehen. Dort erklärte er mit unverständlichen Lauten, dafür umso gestenreicher, der Doge wünsche mich zu sehen. Wie jeden Morgen stellte ich mir die Frage, ob ich der Bitte eines Mannes stattgeben sollte, der meine Mutter und meinen Vater zum Tode verurteilt hatte. Williams Geschäftssinn riet mir zu, ja beschwor mich, die Gunst der Stunde nicht durch unnützen Stolz zu vertun – wegen einer Vergangenheit, über die längst Gras gewachsen sei. Für ihn war ich Möglichkeit und Zugang zu erlesenen Kreisen, die sonst so unerreichbar waren wie die Sterne. Bestimmt, so meinte er, ergäben sich in naher Zukunft dadurch viele Gelegenheiten, gutes Geld zu verdienen. Doch erst sein Argument, ich könnte mit Hilfe Falieros bestimmt meinen Vater finden, ließ mich schließlich einlenken.
    Dann stellte ich die Frage: »Bist du nicht eifersüchtig?«
    William lachte: »Auf einen alten Mann? Ich war auch nicht eifersüchtig auf den Lord von Colbhasa.«
    »Der war ein kleiner Eilandkönig. Faliero ist der Doge von Venedig!«
    »Und verheiratet obendrein.«
    »Das war der Lord von Colbhasa bis kurz vor unserer Ankunft auf seiner Insel auch. Aber der Doge von Venedig ist vermählt mit einer jungen schönen Frau in meinem

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