Die Knochentänzerin
Warum bist du hier?«
Ich zögerte. War es ratsam, den Mantel des heiligen Markus jetzt schon zu erwähnen? Oder sollte ich die Suche nach meinem Vater ins Spiel bringen? Ich entschied mich für die ganze Wahrheit, holte tief Luft und erklärte: »Es gibt zwei Gründe. Mein Gemahl betreibt einen Handel mit Reliquien. Wir sind nach Venedig gekommen, um Euch das Gewand von Sankt Markus zum Kauf anzubieten.«
Der Doge hob die Brauen. »Es gibt noch einen Mantel des San Marco? Er ist der Schutzpatron Venedigs. Habt ihr ein Zeugnis für seine Echtheit?«
»Gewiss.«
Faliero traf keine Anstalten, seine Verwunderung zu verbergen. »Ich werde später deinen Gemahl holen lassen. Wenn dieser Mantel, wie du mir versicherst, tatsächlich einst San Marco bekleidete, dann gehört er natürlich hierher an diesen Ort. Doch nenn mir zunächst den zweiten Grund.«
»Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Ich weiß nur, er steht in den Diensten des englischen Königs und ist sein Ritter. Er gab mich nach meiner Geburt in die Obhut eines abgelegenen Klosters. Lange wartete ich darauf, dass er mich holt. Als dies nicht geschah, beschloss ich, den Konvent zu verlassen, um ihn selbst zu finden.«
»Du hast ihn schon gefunden«, erklärte Faliero kryptisch.
Ich verstand nicht, was der Doge damit meinte. Aber ich spürte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte, um danach umso heftiger zu pochen. Doch noch bevor ich nachfragen konnte, geschah etwas anderes. Plötzlich öffnete sich die Tür. Eine junge Frau, mit Feuer in den schwarzen Augen, stürmte herein, sie war so schön, dass ich sie für einen Engel hielt – für einen Racheengel allerdings.
»Ist sie das?«, fuhr sie den Dogen an.
»Wer?« Faliero schien verwirrt.
»Diejenige, die du wolltest, aber nicht haben konntest?«, fauchte die Schöne. »Für die du deshalb den Feuertod bestimmtest?«
»Nein«, begann Faliero, doch die Dogaressa kümmerte sich nicht um seine Antwort. Sie warf den Kopf zurück, presste die Lippen zusammen und stolzierte mit hallenden Schritten hinaus.
»Gestatten?« Der Doge lächelte gezwungen und machte eine gezierte Bewegung mit der Hand. »Das war die Dogaressa. Meine Gemahlin.«
Ich wusste diesen Auftritt nicht zu deuten. Es ging alles viel zu schnell. Auch brannte mir noch die Aussage Falieros im Gedächtnis: »Verzeiht«, griff ich seine letzten Worte auf. »Ihr sagt, ich hätte meinen Vater schon gefunden?«
Der Doge nickte. Die Maske, die er dabei aufsetzte, schien Tragik verheißen zu wollen. »In Prag.«
Immer noch schüttelte ich verwirrt den Kopf.
»Er war jener Mann …« Faliero hielt inne, wie um zu überlegen, ob die Botschaft, die er zu verkünden hatte, nicht allzu grausam für mich wäre. In der Tat, sie war es: »Der Mörder.« Der Doge sagte es so langsam, als gelte es, jeden Buchstaben dieses Wortes einzeln zu präsentieren.
»Der Mörder?«
»Ja. Er war der Mann, der den Dogen, Pietro Dandolo erstach. Deshalb hielt ich euch für seine Komplizen. Denn Sinead, deine Mutter, war die Geliebte dieses Mörders.«
48
Aluicha weiß, was zu tun ist
F aliero verspürte einen Anflug von Panik. In seinen Eingeweiden rumorte es. Verflucht! Er wäre nicht der erste Herrscher, der einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Seinem früheren Koch hatte er vorbehaltlos vertraut. Doch seit er im Dogenpalast residierte, wurden ihm vom Rat sogar Majordomus und Köche vorgeschrieben.
Am Vorabend, als er die letzten beiden Senatoren empfangen hatte, die er für seine Sache brauchte, war er noch siegessicher gewesen. Gelang es ihm, Vendramin und Grimani von der Notwendigkeit seines Vorgehens zu überzeugen, so hätte er gewonnen. Mit ihren Stimmen wäre die Funktion dieser komplizierten, sich gegenseitig kontrollierenden Gremien der
savi, dieci
und
pregadi
ausgehebelt. Doch in Vendramin und Grimani hatte er sich gründlich getäuscht. Durch nichts – durch keine Versprechen, Bestechungsversuche oder Drohungen – waren sie davon zu überzeugen, dass sein Plan nur einer Sache diente: dem Wohle der Republik Venedig. Im Gegenteil – kaum hatte er ihnen auf verschlungenen Pfaden die Notwendigkeit eines Wandels in der Republica dargelegt, da begannen sie schon von jahrhundertealten Traditionen zu reden, die gottgegeben wären, faselten von bedenklichem, ja für einen Dogen geradezu unfassbarem Gedankengut und ließen sich auch danach kaum besänftigen, als er zurückruderte und versicherte, er hätte nur im Allgemeinen die vage Überlegung
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