Die Knochentänzerin
Alter.«
»Eben. Wozu braucht er dann zwei?«
William schlief noch, als ich in meinen neuen Kleidern aufbrach. Ich warf einen zärtlichen Blick auf sein friedliches Gesicht, dann folgte ich dem Diener die Stiegen hinunter über die Anlegestelle zur Gondel. Er war jung und schön mit dunklen Glutaugen, einer kühnen Nase und dunkel gelocktem Haar. Seine stolze Gestalt ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er um seine Schönheit wusste. Ich sank in die weichen, goldbestickten Kissen und bewunderte die lässige Eleganz, mit der er das Boot durch den schmalen Wasserlauf lenkte, bis dieser in den großen Canal mündete. Die Morgensonne stieg erhaben über dem milchweißen Nebel auf, der wie von Geisterhand geschoben über das dunkle Wasser der Lagune floss.
Faliero erwartete mich persönlich am Eingang. Er legte meine Hand auf seinen Arm, ich zog sie ängstlich weg, er legte sie erneut dahin. So führte er mich, als wären wir Gemahl und Gemahlin, ins Innere des Palazzos.
»Weißt du«, erklärte er gönnerhaft, »du bist wie deine Mutter.«
»Wieso?« Endlich konnte ich seine Hand abstreifen. Sie kam mir vor wie eine Hühnerklaue.
»Sie war stolz. Sie war schön.« Theatralisch trat er einen Schritt zurück, als bewundere er ein Gemälde. »Beinahe ist es nicht möglich. Aber du bist noch schöner.«
»Was wollt Ihr von mir?« Diese Frage hatte ich ihm schon ein Dutzend Mal gestellt. Die Antwort war er mir bisher schuldig geblieben, es sei denn, die Beteuerung, er fühle sich wegen des Schicksals meiner Mutter verpflichtet, oder das bedeutungsvolle Heben seiner buschigen Brauen galten als Erklärung.
An diesem Morgen führte er mich nicht wie sonst in den Raum mit dem Muränenbecken. Stattdessen schob er mich in einen großen Saal, in dem die Möbel beinahe gänzlich fehlten. Umso schmuckreicher waren Wände und Decken mit Malerei verziert, so dass die Gewalt der Bilder geradezu auf einen einstürzte. Während ein Heer von Engeln, bärtigen Greisen, Putten, Jungfrauen und allerlei Getier über mir und um mich herum schwebte, tat der Doge geheimnisvoll. Mal betrachtete er mich lächelnd, mal hob er Daumen und Zeigefinger zum Kinn und mimte den Nachdenklichen. Nun zwinkerten seine Augen in eine bestimmte Richtung, als wollten sie auch meinen Blick dorthin lenken.
»Erzählt mir von meiner Mutter und meinem Vater«, bat ich. Wir standen nun vor einem Bild in goldenem Rahmen. Es zeigte eine wunderschöne Frau, die gemalt war, wie Gott sie geschaffen hatte. Nur ihre Scham war mit einem Feigenblatt bedeckt. Für einen Moment starrte ich auf die alabasterweißen Brüste mit den rosa Knospen, die ein wenig nach oben und gleichzeitig nach außen zeigten. Das gemalte Lächeln der Schönheit empfand ich als geheimnisvoll und verwirrend zugleich. Wie ließen sich so viel Sicherheit und Überheblichkeit mit dem Alter der jungen Frau, das meinem gleichkam, vereinbaren?
»Eure Gemahlin?« Ich spürte, wie die Röte in meine Wangen schoss. Die Freizügigkeit des Bildes machte mich verlegen. Ebenso die Tatsache, dass die Augen des Dogen mich dorthin dirigiert hatten.
»Die Venus.« Während er mich eindringlich musterte, fügte er hinzu: »Die Göttin der Liebe.«
»Und außerdem Eure Gemahlin.«
Er lächelte. »Ja. Weißt du, warum ich dir dieses Bild zeige?«
»Nein. Der Maler beherrscht sein Handwerk. Eure Gemahlin ist sehr gut getroffen, sie ist sehr schön. Doch ich wollte von Euch etwas über meine Mutter und meinen Vater erfahren. Ihr kanntet beide. Mutter starb bei meiner Geburt, und sie wurde verschiedener Verbrechen angeklagt. So wie mein Vater. Ich wüsste so gern mehr über sie. Wer sind sie? Könnt Ihr das verstehen?«
»Nun gut.« Faliero verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Alberegno hasst es, wenn man ihn warten lässt, aber wie es scheint, geht es nicht anders. Schließlich bezahle ich ihn mehr als großzügig.«
»Alberegno?«
»Jacobello Alberegno. Der beste Maler Venedigs. Ich habe ihn eigens wegen dir einbestellt. Du willst also zuerst etwas von deinem Vater und deiner Mutter erfahren?«
»Alles, was Ihr wisst.«
Faliero schien etwas abzuwägen, bevor er einen Entschluss fasste. Beinahe musste ich lachen, als ich erkannte, dass sein Gesichtsausdruck nur eine weitere Maske war. Er wählte Bekümmernis und murmelte die Phrase: »Die Wahrheit ist nicht immer schön.«
Ich antwortete: »Schönheit ist etwas für die Reichen.«
»Dann gehörst du zu den Reichsten der Reichen.«
Ich
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