Die Knochentänzerin
überhörte seine Schmeichelei. »Ihr sagtet, Ihr hättet meiner Mutter das Leben geschenkt, wenn sie nur gewollt hätte. Ihr spracht von einem Handel.«
»Ja.«
»Worum ging es dabei?«
Faliero nickte bedächtig, als habe er in seinen Gedanken etwas schon lange Gesuchtes gefunden. Wieder veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und nun hatte ich zum zweiten Mal den Eindruck, den wahren Faliero zu sehen. Er überlegte lange, bevor er antwortete, und wandte sich dabei in einer Art und Weise zu mir, als kapituliere er vor einer übermächtigen Wahrheit. »Deine Mutter«, sprach er dann endlich, »hätte damals in Venedig an meiner Seite in die Gesellschaft der
nobili
aufsteigen können. Alle Türen wären ihr offen gestanden, kein Mensch hätte erfahren müssen, dass sie nur eine falsche Prinzessin war.«
»Eine falsche Prinzessin?«
Falieros Maskenlächeln war zurück. »Sie tauchte, so wie du, eines Tages in Venedig auf, zwar nicht mit einem Reliquienhändler als Gemahl, doch auch nicht gänzlich ohne Begleitung. Man stelle sich vor, ihr einziges Gefolge bestand aus einer Zofe.« Faliero lachte. »Du weißt schon, welchen Namen sie trug.«
»Cailun«, murmelte ich.
»Ja. Cailun. Sinead, deine Mutter, erklärte mir, dass es
Mädchen
heißt. Cailun konnte kaum sprechen, sie war dumm und plump, eine Idiotin. Niemand konnte verstehen, dass eine Prinzessin sich so eine zur Zofe nimmt.«
»Cailun.« Ich sprach meinen eigenen Namen, als wäre er mir fremd.
»Sie erklärte, Wegelagerer hätten alle ihre Bewacher getötet, und nur sie und die Dienerin wären übrig geblieben. Man glaubte ihr. Venedig war wie verzaubert von ihrer außergewöhnlichen Schönheit – Haare wie Feuer, Smaragde als Augen, die Haut aus weißem Marmor. Die Frauen hier sind dunkel, sie färben ihr Haar, aber das ändert nichts daran, dass man es weiß.«
»Meine Mutter war keine Prinzessin. Aber im Konvent von Icolmkill sagte man mir, sie sei eine Duchess gewesen, eine Gräfin. Dieser Titel ist doch ehrwürdig genug, warum also sollte sie sich als Prinzessin ausgeben?«
»Wer weiß? Jedenfalls wies sie eine Urkunde vor – so ähnlich wie euer Zertifikat, das beweist, dass der Mantel des heiligen Markus tatsächlich von diesem getragen wurde. Darin stand damals, sie sei eine irische Prinzessin, Tochter eines irischen Königs, dessen Namen ich vergessen habe …«
»Wollt Ihr damit sagen, Ihr bezweifelt die Echtheit der Urkunde des heiligen Mantels?«, rief ich dazwischen, weil ich glaubte, William hätte genauso gesprochen.
Faliero winkte ab. »Das tut doch jetzt nichts zur Sache.«
»Nicht?«
»Nein. Der Patriarch hat den Mantel für echt befunden, und schon morgen wird er eine heilige Messe lesen, um die Reliquie zu segnen und für das gemeine Volk auszustellen.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Mein Blick glitt von der nackten Schönheit von Falieros Gemahlin zu den zwei einzigen Möbelstücken in dem riesigen Raum. Unter einem hohen Bogenfenster stand ein breites, mit blutrotem Samt bezogenes Sofa, das auf goldenen Füßen ruhte. Davor stand ein goldenes Tischchen. Ich trat näher zum Fenster. Der Nebel über der Lagune war verschwunden, weiße Segel trieben wie Seerosen auf dem tiefblauen Wasser. Verglichen mit dem grauen, sturmgepeitschten Meer, das Icolmkill umtoste, war dieser Anblick um ein Vielfaches schöner. Trotzdem schlich sich etwas Dunkles unter die prächtige Oberfläche. Ich konnte es nicht greifen, doch es war da. Daran bestand kein Zweifel.
Vorsichtig, als tastete ich mich auf etwas Gefährliches zu, begann ich wieder: »Ihr sagt, meine Mutter
hätte
in den Stand der
nobili
aufsteigen können. Stattdessen landete sie auf dem Scheiterhaufen. Was ist denn geschehen?«
Faliero setzte sich auf das Sofa. Mit seinem golddurchwirkten Gewand auf den scharlachroten Polstern gab er nun selbst ein Bild ab, als hätte ein Maler alles arrangiert. »Deine Mutter«, erklärte er nicht minder vorsichtig, »beging gleich zwei entscheidende Fehler.«
Als Faliero innehielt, fragte ich: »Welche?«
»Sie ließ sich von einem Mörder benutzen und half ihm bei seinem schändlichen Mordplan, der damals glücklicherweise scheiterte.«
»Von meinem Vater.«
»So ist es.«
»Wisst Ihr, wo er ist?«
»Du meinst, im Augenblick?«
»Ja.«
Faliero schüttelte den Kopf. »In Prag verlor sich seine Spur. Und glaub mir, ich ließ ihn gründlich suchen. In meinen Diensten stehen Leute, die normalerweise jeden aufspüren. Dein Vater ist ein
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