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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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er ein Porträt von mir versehen sollte.
    »Ich möchte vielleicht gar nicht gemalt werden.« Meine Stimme klang nicht so fest, wie sie sollte.
    Alberegno griff sich an die Brust, als hätte soeben ein Pfeil sein Herz durchbohrt. Seine sonst so tiefe Stimme schraubte sich in ungeahnte Höhen.
»Bella donna!«,
wehklagte er. »Willst du dich an der Schöpfung versündigen? Warum, glaubst du, hat der Herr dir solche Schönheit geschenkt?«
    Selbst als er an mein Haar fasste und seine Hand die Konturen meines Körpers ertasteten, ließ ich ihn gewähren. Alberegno vollbrachte es mühelos, mich – eine Frau – zu berühren, ohne dass es anrüchig war. Sein Ansinnen diente allein der Kunst, und dabei war er über jeden Zweifel erhaben.
    »Es wäre eine Todsünde, dich nicht zu malen.«
    Für einen Moment glaubte ich, er wolle mich umarmen. Doch seine Arme und Hände strebten schon wieder himmelwärts.
    »Wir beide, du und ich, würden deswegen im Höllenfeuer brennen.«
    »Weswegen?«
    »Wegen der Unterlassung.«
    »Ist die Hölle nicht unten?«, überlegte ich.
    Beide, Alberegno und der Doge, lachten.
    »Vielleicht also doch Kassandra«, überlegte der Maler laut. »Mit einer Eule, dem Bildnis der Weisheit, auf der Schulter oder«, er wandte sich grinsend an den Dogen, »was haltet Ihr davon, der Schönheit Gesellschaft zu leisten – Schönheit, gepaart mit Macht – vielleicht«, er grinste, »gar in Gestalt Apollons?«
    »Das reicht«, knurrte Faliero. »Treibt es nicht auf die Spitze. Es herrscht bestimmt kein Mangel an begabten Malern. Wenn Ihr frech werdet, hole ich mir einen anderen.«
    Alberegno verbeugte sich in gespielter Demut. »Verzeiht … Ihr wisst schon … mein Temperament … oft gelingt es mir nicht, es zu zähmen.«
    Faliero winkte ab. »Ja, ja. Habt Ihr Eure Skizzen? Dann könnt Ihr Euch jetzt entfernen.«

    Nachdem Alberegno in einem bühnenreifen Abgang verschwunden war, erhob ich mich unsicher vom roten Sofa und streifte den goldenen Umhang ab. Faliero, der noch dem Maler nachgesehen hatte, drehte sich zu mir um und meinte beinahe entschuldigend: »Was für ein Wirbelwind, was sage ich, er ist ein Sturm. Und ein Genie! Gewisse Dinge muss man ihm nachsehen.« Die Miene des Dogen wurde nachdenklich. »Wenngleich auch hier wieder einmal die Weisheit zutrifft, in all den Geschichten steckt auch ein wahrer Kern.«
    »Geschichten?«, fragte ich verwirrt.
    »Alberegno scherzte, ich könnte wohl Apollon sein.«
    Nun hörte ich etwas Lauerndes aus Falieros Worten.
    »Was, wenn ich es wirklich wäre?«
    »Ihr könnt doch nicht …«
    »Und du Kassandra? Oder Daphne.«
    »Ich? Kassandra? Meint Ihr auf dem Bild?«
    Faliero lächelte überlegen. »Nicht auf dem Bild. In Wirklichkeit. Ihr habt doch Alberegnos Ausflüge in die Welt der griechischen Mythologie vernommen. Apollon begehrte Kassandra. Um ihre Liebe zu gewinnen, schenkte er ihr die Sehergabe. Als sie ihn abwies, konnte er sie nicht zurücknehmen. Also belegte er die Gabe mit dem Fluch, dass niemand ihren Weissagungen glaubte.«
    Dumm, wie ich war, verstand ich immer noch nicht. »Was haben Apollon und Kassandra mit der Wirklichkeit zu tun?«
    »Oder Daphne.« Falieros Lächeln war ein Wolfsgrinsen. »Nun, wenn ich Apollon wäre und Kassandra oder Daphne begehrte – also dich –, was wäre dann, wenn du mich abwiesest, dein Schicksal?«
    Ich war so damit beschäftigt, die Worte des Dogen zu entwirren, dass ich nur wie eine Idiotin stammeln konnte: »Lor… Lorbeerbaum?«
    Falieros Lachen hallte von den Wänden. Es verstummte aber ebenso unvermittelt, wie es begonnen hatte. »Ich kann Frauen nicht in Bäume verwandeln und will es auch gar nicht. Aber ganz andere Dinge stehen in meiner Macht.«
    Selbst wenn ich eins und eins zusammenzählte, war mir immer noch nicht vollständig klar, worauf der Doge hinauswollte. Zwar verstand ich, dass seine Worte eine Drohung enthielten, doch blieb ich zunächst im Ungewissen darüber, wovor er mich warnte. Also flüchtete ich mich in die Strategie der Ablenkung und versuchte einen Scherz: »Zum Glück wollt Ihr Apollon sein und nicht Ajax, der Lokrer, der Kassandra Gewalt antat.«
    »Gewalt ist immer dann ein unvermeidliches Mittel, wenn Vernunft nichts mehr bewirkt«, erwiderte der Doge.
    Ich lachte gekünstelt. »Also sollte ich wohl vernünftig sein.«
    »Das wäre klug.«
    War dies Spiel oder Ernst? Langsam glaubte ich, Letzteres. Falieros Anspielungen auf Daphne und Kassandra waren wohl auf mich bezogen.

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