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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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tanzte.
    »Eine Nymphe, ich male dich als Nymphe, doch halt, dann fehlt ein Faun.« Er tanzte wieder näher. »Schön bist du, schön, ohne Zweifel, von innen und von außen, ein Blinder könnte das sehen, hm, doch wie … was mach ich bloß.«
    »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt …«, hob ich an.
    Doch es schien ihn nicht zu interessieren, was ich nicht wusste. So ganz war er versunken in seine eigene Welt, die wohl niemals stillstehen durfte. Wie aus dem Nichts war da Papier. Ein Kohlestift wuchs aus dem Nirgendwo, und Striche wüteten auf dem Pergament, während seine Augen wie Jagdhunde auf mich zuflogen.
    »Daphne«, murmelte er dabei wie im Fieber, »und zu deinen Füßen vielleicht der von Apollon als lausiger Schütze verspottete Eros, bestimmt kennst du die Geschichte, wie daraufhin Eros einen goldenen Pfeil auf Apollon abschoss, damit dieser sich unsterblich in Daphne verliebe, diese aber von einem bleiernen Pfeil getroffen wurde, was genau das Gegenteil bewirkte, mit dem Resultat, dass sich Daphne vor dem liebestollen Apollon nicht mehr anders zu retten wusste, als sich von ihrem Vater in einen Lorbeerbaum verwandeln zu lassen …«
    All dies rasselte Alberegno herunter, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Von Daphne und Kassandra wusste ich dank Schwester Beathak, der Einzigen auf Icolmkill, die des Griechischen mächtig war. Schon rezitierte Alberegno theatralisch den von Äbtissin Matilda verbotenen und von manchen Nonnen gerade deshalb heimlich gelesenen Ovid:
»Zarte Rinde umschlingt ihre weichen Brüste, die Haare werden zu Blättern, und die Arme wachsen zu Zweigen empor. Daphnes Füße erstrecken sich ins Erdreich und werden zu Wurzeln, ihr Antlitz verliert sich im Blätterdach …«
Er hielt inne, plötzlich selbst wie ein Baum erstarrt, die Augen wie bei einer Erleuchtung himmelwärts aufgerissen, doch schon fuhr wieder Bewegung in seine Glieder wie der Sturm in die Äste einer Konifere, und er quasselte weiter: »Nein, vielleicht male ich dich doch lieber als Kassandra – die von Ajax Geschändete –, die alles Unheil prophezeit, die Trojaner vor dem hölzernen Pferd warnt, doch von eben jenem Apollon, dessen Liebe sie verschmähte – und der sich für meinen Geschmack reichlich oft verliebte –, mit dem Fluch behaftet ist, dass man ihren Weissagungen nicht glaubt, obwohl sie die Wahrheit spricht?«
    Oder du malst mich, wenn ich es denn erlaube, einfach als die, die ich bin, dachte ich bei mir. Der Doge stand abseits und grinste.
    Alberegno tänzelte weiter durch den Saal, den Kopf hoch erhoben. Mit einem Mal deutete er zur Decke. Zwar blieb er am selben Ort, doch seine Füße trommelten an gleicher Stelle auf dem schwarzen Marmor. Er lachte und zeigte nach oben. »Seht Ihr! Die Paradiesszene. Adam und Eva unter dem Baum. Die Schlange.« Er winkte den Dogen herbei. »Habt Ihr es schon bemerkt? Die Schlange! Seht Euch den Kopf der Schlange an!«
    Faliero runzelte die Stirn. »Was? Es ist der Kopf einer Schlange.«
    »Nein!« Alberegnos schmächtiger Körper wurde vom Lachen geschüttelt. »Es ist weit mehr als nur ein Schlangenkopf. Erkennt Ihr nicht die Ähnlichkeit? Die Schlange trägt ohne Zweifel die Züge von …«
    »Von?
    »Von Papst Clemens.«
    Faliero blickte zögernd nach oben, dann lachte er herzhaft.
    Alberegno sprang umher wie ein Buffo und feixte: »Ich kann Euch also nur warnen vor der Macht eines Malers. Verscherzt es Euch niemals mit meiner Zunft. Wer möchte schon ein Fresko als Schweinskopf zieren oder sein eigenes Gesicht im dümmlichen Ausdruck eines Schafs wiederfinden?«
    »Und ich kann Euch nur warnen vor der Macht des Dogen«, konterte Faliero. »Solltet Ihr es je wagen, ein Bildnis von mir zu verunglimpfen, dann war dies Euer letztes Werk.«
    Während sie dies ausfochten, kam ich zur Besinnung. Zu sehr war ich bis dato Gefangene der Situation gewesen. Der Doge, der Saal mit den Bildern, die malerische Lagune; die Ehre, dass das Oberhaupt Venedigs eigens für mich einen Maler bestellte! Und dann der Maler selbst, ein Wirbelsturm, der über alles hinwegfegte, einschließlich meiner Einwände. Der einen Kohlestift hinter dem Ohr hervorholte wie ein Zauberer und schon angefangen hatte, mich zu skizzieren, bevor ich überhaupt wusste, wie mir geschah. Außerdem hatte ich niemals zuvor einen Tisch aus Gold gesehen, geschweige denn ein purpurnes Sofa. Nun saß ich sogar auf einem. Und Alberegno dachte laut darüber nach, mit welchen Symbolen der griechischen Mythologie

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