Die Knochentänzerin
Burg des Earls von Orkney. Lord Sinclair ist ein mächtiger, grausamer Mann. Man sagt, er hat stets sieben Geliebte, und wenn er einer überdrüssig wird, lässt er sie köpfen und die Leiche den Fischen vorwerfen. Dann sucht er sich eine neue und …«
»Komm zum Punkt.«
»Zum Punkt? Ach so. Nun – jedenfalls belauschte mein Freund ein Gespräch zwischen Lord Sinclair und Bischof William. Darin ging es um den heiligen Donnan von Eigg und darum, dass dieser dem Nonnenkloster von Icolmkill gespendet werden soll. Der Bischof hat wohl gesündigt – oder vielleicht auch der Lord, ich weiß es nicht. Auf alle Fälle …«
»Schon gut«, unterbrach ich seinen Redeschwall. »Das reicht fürs Erste.« Ich überlegte. »Und nun?«
Er sah mich zunächst verständnislos an. Dann gab er sich einen Ruck. »Hör zu. Du hast mir das Skelett versaut, und du solltest dir überlegen, den Schaden wiedergutzumachen.«
»Ich habe nichts. Eine Regel des Ordo Sancti Benedicti besagt, dass eine Nonne nichts besitzen darf.«
»Nichts?«
»Gar nichts.«
Ich sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, doch er schien zu keinem brauchbaren Ergebnis zu kommen. Zwar setzte er mehrmals an und öffnete den Mund, doch Worte blieben aus. Allerdings wollte ich nun mehr wissen, also fragte ich: »Wo willst du den heiligen Donnan den verkaufen – und an wen?«
Er lachte. Es klang wie ein trockenes Husten. »Die Nachfrage nach heiligen Reliquien ist enorm. Doch leider auch das Angebot. Du glaubst nicht, wie viele Nägel vom Kreuz Christi im Umlauf sind.«
»Drei«, mutmaßte ich.
»Ha! Drei!« Er schien sich köstlich zu amüsieren, er gluckste und kicherte und schlug sich auf die Schenkel.
»Es waren drei. Höchstens vier.« Ich reagierte beleidigt. Was bildete der Grabschänder sich ein, dass er mich auslachte? »Ein Nagel in der linken Hand, einer in der rechten, macht zwei. Dann noch einer durch die Füße, vielleicht auch zwei, durch jeden Fuß einen. Was gibt es da zu lachen?«
»Ich spreche nicht von den Originalen. Es gibt Hunderte, vielleicht Tausende von falschen Nägeln.«
»Wer kann da noch sagen, welche echt sind und welche nicht?«
»Niemand.«
»Dann wird dir vielleicht auch niemand glauben, dass die Knochen in der Kiste die des heiligen Donnan sind.«
»Mit Silber, Gold und Edelsteinen geschmückt schon.« Er fügte hinzu: »Der heilige Donnan ist kein sehr berühmter Heiliger. Beim heiligen Petrus wäre das schon anders. Da wird jedes Knochensplitterchen mit Argwohn betrachtet.«
»Du bist ja ein echter Experte auf dem Gebiet.« Es war als Spott gedacht, doch er warf sich in die Brust:
»Worauf du dich verlassen kannst. Ich kenne alle Listen mit den Preisen in- und auswendig – und zwar für echte Reliquien genauso wie für falsche.«
»Du bist schreibkundig und kannst lesen?«
»Natürlich nicht.« Er tippte sich an die Stirn. »Es ist alles hier drinnen. Und weil das so ist, weiß ich auch, dass es schwierig sein wird, einen Kunden von der Echtheit der Knochen zu überzeugen. Schließlich weiß ein Kenner, dass der Märtyrer den Feuertod starb.«
»Und wenn du behauptest, man hätte ihn vor dem Scheiterhaufen noch aufs Rad geflochten? Das könnte doch sein, und es würde die gebrochenen Knochen erklären.«
Der Blick, den er mir zuwarf, war eine Mischung aus Erstaunen und Anerkennung. Er schien angestrengt zu überlegen. Dabei bohrte er in der Nase. Schließlich kam er zu einem Entschluss: »Raffiniert bist du. Die gesamte Strafe, die über Donnan verhängt wurde, ist wohl tatsächlich nicht bekannt. Dafür ist es viel zu lange her. Vielleicht hat man ihn also tatsächlich gerädert und erst danach verbrannt.« Sein Finger bohrte tiefer in der Nase. »Doch wahrscheinlich werde ich den Heiligen nicht als Ganzes verkaufen, sondern in Einzelteilen. Das bringt mehr.« Ein Ruck ging durch seine dürre Gestalt. »Ich sammle jetzt alles ein und segle heim.«
Das Wort
heim
versetzte mir einen Stich. Ein Heim gab es für mich nicht, das Kloster auf dieser Insel war ein Gefängnis. »Bald fahre ich auch heim«, erwiderte ich trotzig. »Mein Vater wird mich holen.«
Er beachtete mich nicht weiter, sondern schien etwas zu suchen. Schließlich zauberte er aus der Dunkelheit einen Sack aus grobem Leinen und begann die Knochen hineinzuklauben.
»Es ist wahr!« Ich war verärgert. »Mein Vater ist ein Ritter des Königs von England.«
»Ein Ritter des Königs? Oder vielleicht ein Prinz in goldener Rüstung, auf einem
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