Die Knochentänzerin
gebot sein kräftiger Wuchs großen Respekt, und sein Gesicht mit den dunklen, wachen Augen strahlte jene Ruhe aus, die man von einem Mann in hoher Position erwartete. Jetzt war allerdings von dieser Ruhe nichts zu sehen. »Hinaus mit euch«, schnauzte er die Gesellen an und strich fahrig über seinen Bart.
»Jawohl, Herr.« Die Burschen verbeugten sich und verschwanden.
Parler holte tief Luft, stieß sie wieder aus und ging ruhelos auf und ab. Für einen Moment verharrte er an der schmalen Fensteröffnung, blickte hinaus und wurde noch angespannter, weil er das Fundament des Doms, den er vielleicht bald weiterbauen durfte, nicht sehen konnte. Es lag auf der anderen Seite der Burg. Stattdessen breitete sich unter ihm eine riesige Baustelle aus: die Nové mésto. Parler wusste, dass der Kaiser seinen Traum verwirklichte, hier eine völlig neuartige Stadt zu bauen. Es würde nichts Enges, Zugebautes geben, breite, gerade Straßen ersetzten verwinkelte Gassen, großzügige Bauten mit viel Raum dazwischen entstanden, ebenso wie drei große Hauptplätze, die als Märkte dienen sollten. Jeder Christ oder Jude, der sich ein Steinhaus leisten konnte, wurde ausdrücklich dazu ermuntert, dort unten zu bauen.
Im Augenblick machte sich der Traum des Kaisers am Fuß seiner Burg jedoch vor allem in zweierlei Weise bemerkbar: in einer unglaublichen Geschäftigkeit, die von hier oben ohne jegliche Ordnung schien und an Chaos grenzte – und in ohrenbetäubendem Lärm: von Hämmern, Sägen, vom Rattern der Fuhrwerksräder, von gebrüllten Befehlen und geschrienen Antworten.
Peter Parler versuchte trotzdem, sich zu konzentrieren. In Gedanken ging er noch einmal alles durch. Der französische Baumeister Matthias von Arras hatte die Pläne für eine gotische Kathedrale gezeichnet und nach diesen den Bau beginnen lassen – und zwar im Chorhauptschema der klassischen Königskathedralen. Parler, dem ganz andere Dinge vorschwebten, befand diesen Stil allerdings längst für überkommen. Sein Kopf war gefüllt mit Ideen. Doch leider war er an den bereits vom Franzosen begonnenen Bau gebunden. Diese Vorbedingung kannte er bereits, die Genehmigung für einen neuen Grundriss würde er nicht bekommen, denn es war viel zu teuer, alles schon Bestehende wieder abreißen zu lassen. Es war ein Jammer – und trotzdem die Chance seines Lebens.
Er drehte sich um, lief zum Tisch, auf dem seine Pläne lagen, und studierte sie erneut, obwohl er sie in- und auswendig kannte. Waren sie gut genug? Genügten sie den Ansprüchen eines Kaisers? Nervös verschob er die schmalen Eisengewichte, die auf den Ecken der Pergamente lagen, um sie gleich wieder an den alten Platz zu rücken. Er zupfte an seiner Steinmetzhaube aus schmucklosem braunem Filz, dann nahm er sie ab, legte sie zur Seite und fuhr sich durchs Haar. Trotz des Lärms, der von der Baustelle heraufdrang, vernahm er das Knarzen und Quietschen, als die hohe Eichentür aufschwang. Der Kaiser trat ein, gefolgt von einem Bischof im schwarzen Talar mit Beffchen und Zucchetto auf dem Kopf. Doch Peter Parler nahm den Geistlichen kaum wahr, so sehr bannte ihn die Erscheinung des Monarchen, obwohl dieser in noch bescheidenerer Aufmachung erschien als der Geistliche. Auffallend war lediglich eine goldene Spange in Form des böhmischen Löwen, die über der linken Schulter den dunkelgrünen Mantel des Kaisers zusammenhielt. Der Baumeister blickte in ein ebenmäßiges Gesicht mit dunklen, aufmerksamen Augen, die ihn freundlich musterten.
»Peter Parler, mein neuer Dombaumeister, so hoffe ich.« Karls Stimme klang freundlich, beinahe herzlich. Er fuhr sich durch den dunklen Haarschopf und trat dann näher. »Ich werde Euch nicht lange in Beschlag nehmen, Ihr müsst müde von der langen Reise sein.«
Sofort fiel Parler vor ihm auf die Knie. Was hatte der Kaiser soeben gesagt? Mein neuer Dombaumeister, so hoffe ich. Er senkte seinen Kopf noch tiefer, um den Mantelsaum Karls zu küssen. Doch dieser berührte ihn leicht an der Schulter.
»Steht auf, ich will mir Eure Pläne ansehen und nicht die Haare auf Eurem Kopf.«
»Majestät … nehmt Euch so viel Zeit … wie Ihr braucht …« Parler konnte vor Anspannung kaum sprechen. Während die Miene des Kaisers freundlich blieb, blickte der Bischof im Hintergrund zunehmend skeptisch.
»Die Sachlage ist so«‚ übernahm Karl, nachdem Parler nicht weiterredete. »Ihr wisst bestimmt, dass mein alter Architekt Matthias von Arras zu meinem großen Bedauern
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