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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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machen.«

    Tatsächlich erreichten wir das Eiland, bevor wir im Wasser erfroren. Als wollte die Sonne unser Eintreffen beleuchten, erschien ihr fahler Kreis in einer Wolkenlücke, um jedoch gleich darauf wieder zu verschwinden. Es war ein schmaler Streifen Sand, an dem das Meer uns ausspuckte. Schlotternd standen wir da und blickten ratlos die Felswände empor. Ich lachte höhnisch.
    »Ich bin aus einem Gefängnis geflohen, wäre fast ertrunken – nur, um gleich nach meiner wundersamen Rettung in einem neuen Gefängnis zu landen.«
    William stellte den Sack mit Donnans Knochen neben sich und prüfte mit den Händen den Fels. Dann erklärte er ernst: »Wir müssen hinaufklettern.«
    Mein Lachen wurde schrill. »Meine Glieder sind taub, der Fels ragt senkrecht auf und ist vom Regen glitschiger als ein Aal.«
    Er band sich den Knochensack um und äffte mich nach. »Dein Jammern wird uns nicht hinauftragen.« Entschlossen griff er in den Stein. »Du kannst ja bleiben bis zum Sankt Nimmerleinstag. Oder bis dein Vater, der edle Ritter kommt, um dich zu holen. Ich jedenfalls versuch’s mit Klettern.«

    Manchmal hatte ich in Icolmkill die Schafe auf den Klippen bewundert. Man mochte es nicht glauben, doch die unförmigen Tiere waren Kletterkünstler – obwohl, wirklich klettern sah ich sie nie. Doch sie standen auf Felsvorsprüngen, schmaler als ein Fuß, oder rissen Grasbüschel an Stellen von den Klippen, die unerreichbar schienen. Manchmal stockte mir der Atem, wenn es vollkommen unerklärbar war, wie eines der Tiere an einen bestimmten Ort im Fels gelangt war – und unerklärbarer noch, wie es von dort je wieder auf sicheren Boden zurückkommen würde.
    Gerade befand ich mich in ähnlicher Lage. Nur war ich kein Schaf.
    William war vorausgeklettert, er tat sich leicht, wog er ja nichts, bis auf den unsäglichen Knochensack. Zunächst war es nicht sehr schwer, ihm zu folgen, bis ungefähr zur Mitte der Felswand. Dort wollte ich sehen, wie weit ich schon gekommen war. Ich blickte zurück. Tief unten warf das Meer grollend die Gischt gegen die Felsen, der schmale Streifen Sand, auf dem wir angelandet waren, begann sich zu drehen. Plötzlich zitterte ich am ganzen Leib.
    »William!«, schrie ich panisch.
    Ich sah, wie er innehielt. Ein Stein löste sich und klapperte zwei Handbreit an meinem Kopf vorbei.
    »Was ist?«, wollte er wissen.
    Das Zittern wurde stärker. Die Angst trieb mir Tränen in die Augen. »Ich stecke fest!«
    »Was heißt das – du steckst fest?«
    »Verdammt, was heißt es schon? Ich kann nicht vor und nicht zurück!«
    »Unmöglich. Es gibt genug Spalten und Vorsprünge für Hände und Füße.«
    »Alles dreht sich um mich, und ich zittere wie Espenlaub!«
    Er schwieg kurz, als müsse er überlegen. Dann rief er: »Du hast aber nicht nach unten geschaut?«
    »Verdammt! Doch!«
    »Das hättest du nicht tun sollen.«
    Unkontrolliertes Schluchzen schüttelte mich. Gleich würde ich abstürzen und mit zerschmetterten Gliedern auf den Felsen liegen. Die See würde meinen Leichnam holen. Und welche Hilfe bot dieser Idiot mir an? Er sagte: Das hättest du nicht tun sollen!
    »Hilfe! Ich stürze ab!«, heulte ich.
    »Bleib, wo du bist. Ich komm zu dir. Und guck bloß nach oben.« Tatsächlich begann er, zurück zu mir zu klettern. Es dauerte nicht lang, und er hing wie eine Spinne neben mir. Ich spürte, wie er nach meiner Linken griff und daran zog.
    »Nicht!«, brüllte ich und krallte meine Finger noch fester in den Fels.
    »Hör zu.« Er klang ganz ruhig, als hingen wir nicht über einem todbringenden Abgrund, sondern säßen gemütlich nebeneinander in der Sonne. »Ich führe deine Hand an eine bessere Stelle. Du wirst sehen.«
    »Nein!«
    Er strich mir leicht über den Handrücken. »Vertrau mir. Du schaffst es. Es ist nicht mehr weit. Wenn du dir helfen lässt, bist du gleich oben.«
    Zitternd gab ich nach. Er nahm meine Hand und führte sie in eine griffige Spalte. »Gut so. Halt dich fest. Und jetzt den Fuß ein bisschen höher. Noch höher. Und jetzt die andere Hand.«
    Stück für Stück führte er mich nach oben. Das Zittern verebbte. Bald konnte ich den Klippenrand sehen. Etwa fünf bis sechs Körperlängen noch und ich wäre in Sicherheit.
    William murmelte ein letztes »Gut so«, dann kraxelte er schneller. Ich sah seine schmutzigen Füße über mir, seine Zehen waren beinahe wie Finger, mit denen er sich festhielt. Nun stützte er sich hoch und hielt inne, als lausche er einem Geräusch.

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