Die Knochentänzerin
kommen lassen.« Faliero streifte seinen Gast mit einem Seitenblick. »Nein, in diesem Fall war sie mir anderweitig zu Diensten.«
Oradini grinste anzüglich. »Anderweitig. Das bedarf keiner weiteren Erklärung – obwohl es mich schon interessieren würde – Felicia ist ja gewiss kein Kind von Traurigkeit.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause, während sein Gastgeber zum Aquarium schritt und ein Glas voll kleiner Fische in das Muränenbecken goss. Sofort machten sich die Raubfische über die Beute her.
»Versuche nie, das herauszufinden.« Faliero betrachtete interessiert, wie die kleinen Fische panisch versuchten zu entkommen. »Siehst du, so ist das. Die Großen fressen die Kleinen.«
»Und wie sie zappeln! Aber es nützt ihnen nichts. Die Muränen sind schneller.« Oradini, dem das Schauspiel gefiel, lachte meckernd. »Wirst du so mit Dandolo verfahren?«
»Nein.« Faliero stellte das leere Glas ab. Er beobachtete, wie eine goldbehangene Muräne ihr Maul aufriss und nach dem letzten Fisch schnappte.
»Wie dann? Was hast du vor?«
Faliero stellte die Gegenfrage: »Wie würdest du es machen?«
»Nun – vielleicht kommt die Pest zurück und erledigt die Arbeit.«
Faliero knurrte: »Und uns dazu.«
»Ich bin mir sicher, du hast schon einen Plan.«
Der letzte Fisch war im Maul der Muräne verschwunden, nur noch die zappelnde Schwanzflosse schaute heraus. Faliero öffnete die Mantelschnalle in der Form des goldenen, geflügelten Löwen Venedigs und warf den Umhang achtlos über einen Stuhl. Sein Oberkleid war ein enganliegendes, beinahe bis zum Gürtel offenes
jaquette
. Jeder in Venedig, der etwas auf sein Aussehen gab, trug inzwischen eine dieser sündteuren französischen Jacken. Auch die Hose entsprach neuester Mode – eng geschnitten mit einem Polster, Fransen und Schleifen über dem Schritt, um die Männlichkeit hervorzuheben.
»Natürlich hab ich einen Plan.« Faliero nahm unaufgefordert das Glas seines Gastes und goss Wein nach. »Wenn auch noch nicht in allen Einzelheiten.«
Oradinis Gesichtsausdruck hatte mit einem Mal etwas Lauerndes. »Verrätst du ihn mir?«
»Natürlich. Deshalb habe ich dich kommen lassen.«
»Willst du Dandolo töten?«
»Nein. Halte mich bloß nicht für einen dummen Meuchelmörder.«
Oradini verbesserte sich sofort: »Ich meine natürlich: Willst du, dass er einen Unfall erleidet?«
Faliero schüttelte beinahe väterlich den Kopf. »Dein Glück, Guglielmo, ist, dass du mich zum Freund hast. Du würdest einem Widersacher einfach einen Stein um den Hals binden und ihn irgendwo draußen auf der Lagune versenken.«
»Und das wäre nicht die schlechteste Lösung«, bestätigte Oradini.
»Wäre es doch. Du kennst Venedig. Irgendeiner – du hast ja schließlich immer noch Gegner, selbst wenn du einen davon zur Seite schaffst – irgendeiner wird mit dem Finger auf dich zeigen und rufen: Der war’s. Andere Finger werden folgen. Am Schluss umringt dich eine Meute und skandiert: Mörder! Mörder!, und sie schlagen dir den Kopf auf der Treppe zum Dogenpalast ab. Nein, mein Lieber. Andere müssen die Sache für dich erledigen.«
»Andere? Wer denn?«
»Fremde am besten. Dann glaubt auch jeder gern, dass sie es waren.«
Oradini schüttelte langsam den Kopf. »Fremde?«, rätselte er.
Faliero seufzte ungeduldig. »Es ist doch nicht schwer. Wer schlägt sich denn im Augenblick gegenseitig die Köpfe ein?«
»Engländer und Franzosen.«
»Na, bitte. Und beide sind ungefähr gleich stark. Das ist gut so. Einmal gewinnt der eine, dann wieder der andere. Doch keiner kann den endgültigen Sieg erringen. Weißt du, was man in einer solchen Pattsituation tut?«
»Man versucht, Verbündete zu gewinnen.«
Faliero lächelte wissend und nickte. »Siehst du, jetzt hast du das Spiel verstanden.«
»Noch nicht ganz.«
Faliero beugte sich vor, so dass Oradini seinen Atem spürte. »Dandolo gerät zwischen die Fronten. Er wird zuerst den Franzosen Unterstützung durch die venezianische Flotte anbieten und dann den Engländern. Und wird damit beide verraten.«
»Wird er?«
»Zumindest werden alle es glauben.«
»Und dann?«
»Dann«, flüsterte Faliero, »dann wird er zwischen den beiden Mächten zermalmt.«
9
Cailun will keinen alten Mann
N icht!«
Der Schrei entwischte mir, bevor William der Erste es schaffte, seine Hand auf meinen Mund zu pressen. Da half es auch nichts, dass ich sofort erkannte, ich wäre besser still gewesen. Doch das Bild war allzu schrecklich. Der
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