Die Knochentänzerin
Ausgangspunkt genommen.
»Wie hieß sie noch mal?«
»Sinead.«
»Richtig. Sinead, die rote Hexe.«
Der Kaiser schwieg. Einst hatte er diese Frau geliebt. Manchmal glaubte er sogar, dass dies immer noch so sei. Sie hatte ihn vor dem Ertrinken gerettet, aber kurz darauf verkauft und verraten. In Venedig hatte er sie wieder getroffen – als falsche Prinzessin. Er war machtlos gegenüber seinen Gefühlen für sie gewesen. Auch sie leistete heftige Liebesschwüre. Doch die waren nichts als Lüge. Sie hatte ihn immer nur benutzt, und er war sich sicher, dass sein Vater wegen ihr auf dem Schlachtfeld von Crécy sein Leben lassen musste.
»Sie erhielt auf dem Scheiterhaufen von Venedig ihre gerechte Strafe«‚ sprach der Kaiser schließlich, doch es klang mehr wie ein Seufzen.
»Trotzdem«‚ setzte von Sternberg an, doch ein Klopfen ließ ihn innehalten. Er trat zur Tür und öffnete sie. Ein kaiserlicher Sekretär stand da.
»Ein Brief für Ihre Majestät.«
»Gebt her.« Von Sternberg griff nach dem Schreiben, begutachtete das Siegel, dann lachte er herzhaft.
Karl trat hinzu, sah ebenfalls auf den Wachsstempel und murmelte. »Warum lacht Ihr?«
»Seht selbst. Der geflügelte Löwe von Venedig. Ihr wisst, was diese Botschaft enthält?«
Karl nickte zögernd. »Die Aufforderung, den neuen Dogen von Venedig zu seinem Amt zu beglückwünschen.«
»So wird es sein.« Der Bischof gluckste immer noch vor Lachen. »Ich glaube, die Entscheidung, wohin Ihr zuerst fahrt, ist Euch hiermit abgenommen. Welch ein Zufall. Nennt man so etwas nicht eigentlich
deus ex machina
?«
»Nur mit dem Unterschied, dass der Gott auf die Bühne herabschwebte, um eine aussichtslose Lage zum Guten zu wenden. Da bin ich mir in diesem Fall nicht sicher.«
»Darf ich?« Von Sternberg machte Anstalten, das Siegel aufzubrechen.
»Ja. Aber es gibt wenig Zweifel, wer der Neue ist. Marino Faliero. Er hält Venedigs Macht in den Händen.«
Der Bischof wiegte zweifelnd den Kopf. Er begann zu lesen, dann reichte er das Schreiben an seinen Kaiser weiter.
»Pietro Dandolo?«, rief dieser überrascht aus.
»Faliero wird nicht amüsiert sein«, bemerkte von Sternberg.
Karl griff nach einem silbernen Glöckchen und läutete. Sofort erschien sein Leibdiener. Diesem befahl er: »Lasse einen Schreiber einen Brief verfassen. Er geht an den neuen Dogen von Venedig, Pietro Dandolo, und übermittelt meine Glückwünsche für die Ernennung ins höchste Amt der Serenissima. Außerdem wird darin der baldige Besuch des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs angekündigt. Der Schreiber soll den Brief in lateinischer Sprache verfassen und einem Boten übergeben, damit er ihn schnellstmöglich nach Venedig bringt.«
6
Nirgendwo
W ie ich das Meer schon immer gehasst hatte. Konnte es etwas anderes sein, als eine Schöpfung des Leibhaftigen – dieses feige, heimtückische, endlose Etwas, dieses tobende Gefängnis, das mich fünfzehn Jahre lang umschlossen hatte, und jetzt dabei war, mich zu verschlingen?
Zunächst war es gar nicht so schlimm gewesen. Der vermeintliche Sturm hatte sich als zahmer Wind erwiesen und uns gute Dienste geleistet. Dann war er eine Weile gar zu einer sanften Brise geworden, und mein Steuermann versicherte mir beim Anblick der Sterne, dass die Richtung stimmte.
»Ausnahmsweise sind uns die Elemente wohlgesinnt«, wagte ich eine Vorhersage.
Mein knochendürrer Gebeinesammler schüttelte gutgelaunt den Kopf und bemerkte weise: »Das Meer ist wie eine Frau. Erst verführt es dich mit seiner Schönheit. Dann, wenn du dich sicher wähnst, verwandelt es sich in eine Bestie.«
»Ich
bin
eine Frau«, zischte ich, »und bestimmt keine Bestie.«
Er wiegte daraufhin wissend den Kopf und lächelte noch weiser.
Ich brauste auf: »Wer bist du überhaupt, du armseliger Grabräuber? Ich vertrau dir und dieser Nussschale mein Leben an und weiß noch nicht mal deinen Namen.«
Mit einer Hand an der Schnur, die das löchrige Ding, das er Segel nannte, in den Wind hielt, verbeugte er sich: »Verzeiht, Mylady, wie ungehobelt von mir. Mein Name ist William der Erste – einfach und leicht zu merken.«
Mit einem Mal konnte ich seine schreckliche Aussprache der gälischen Sprache einordnen. »Ein Engländer?«, rief ich entsetzt. Ums Haar wäre ich aus dem Boot gesprungen, obwohl uns nichts als Meer umgab: »Natürlich, wer sonst würde mit Knochen handeln. Und du nennst dich auch noch
der Erste
!«
»Sehr richtig. Ich bin Engländer. Zudem in meiner
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