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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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drohenden Untergang, sah ich ihn. Wie ein vom Sturm zerfleddertes Gespenst hockte er im Heck, die dürren Beine nach außen gespreizt, beide Hände in das Steuerruder gekrallt. Er kämpfte, mühte sich, gab sein Bestes.
    Doch das Meer spielte mit uns Katz und Maus. Hämisch spie es uns Gischt ins Gesicht, johlend warf es uns umher, schmetterte uns brüllend vor Lachen von einer Wasserwand in die nächste. Bald, das war klar, würde es uns zerquetschen wie ein lästiges Insekt.
    Es tat dies gemächlich. Zuerst riss es das Ruder fort und machte das Boot noch steuerloser als zuvor. Dann zerrte es an den Planken, wühlte sich in immer größer werdende Spalten. Und schließlich – ich betrachtete es, als ginge es mich nichts an –, schließlich riss es unser Schiffchen in zwei Teile. William der Erste und ich wurden hinausgeschleudert. Nun
ging
es mich etwas an! »Vater! Rette mich!«, brüllte ich und schleuderte wie im Irrsinn meine Arme gegen das Meer, ohne Nutzen. Fast brach ich mir die Knochen, als ich gegen eine Planke schlug, doch ich bekam sie zu fassen, und jetzt sah ich einen Schopf, der neben mir tanzte, doch dann war er schon verschwunden.
    »William!« Wieder wirbelte der Sturm meinen Schrei davon, meine Hände krallten sich ins Wasser, und wie durch ein Wunder hielt ich plötzlich einen Kopf an den Haaren gepackt und zog ihn hoch. Hustend und prustend spuckte der Mund des Knochensammlers Wasser.
    »Schwimm! Schwimm um dein Leben!«, schrie ich verzweifelt.
    Der Sturm wehte mir hämisch seine Antwort ins Gesicht: »Schwimmen? Das kann ich nicht!«, brüllte er zurück, und gleich darauf versank sein Kopf erneut. Zum Glück hielt ich ihn noch gepackt. Ich zog ihn hoch und zerrte seinen dürren Oberkörper über das Holzbrett.
    »Wir sind verloren!« Meine eigene Stimme klang wie ein Kreischen, das im Wind wirbelte. Ich sah, dass er sich nur mit einer Hand festhielt und schrie: »Nimm beide Hände zum Festhalten!«
    »Das geht nicht.« Obwohl wir um unser Leben kämpften, flackerte kurz sein schiefes Grinsen auf.
    »Warum …«‚ begann ich, doch dann wusste ich es. William der Erste musste mit der anderen Hand etwas festhalten: den heiligen Donnan von Eigg.
    »Lass den verdammten Heiligen los!«, schrie ich.
    Doch er grinste nur noch schiefer.

7
    Irgendwo
    I ch sah in den dunklen in Nebelfetzen gehüllten Schemen zuerst. Eine finstere Gestalt, die sich schwarz, senkrecht und drohend aus dem Meer erhob. Der Himmel, immer noch windgepeitscht, glitt mit zerrissenen Wolken darüber hinweg. Ein schräger Regen fiel, doch der Sturm hatte fast all seine Kraft verloren.
    »Was ist das?«, flüsterte ich William zu, der neben mir schlotternd und mit blauen Lippen im Wasser trieb. Er runzelte die Stirn und sah dabei noch jämmerlicher aus.
    »Hast du von Wüsten gehört?«, bibberte ich, und als er verneinte, teilte ich ihm mein Klosterwissen mit: »Man erzählt, es sind unendliche Weiten, mit nichts als Sand, so weit das Auge reicht.«
    »Ein Sandmeer?«
    »Genau so. Manche Menschen irren tagelang darin herum, und bevor sie verdursten, sehen sie plötzlich in all dem Sand Bäume und Brunnen.«
    »Woher kommen die?«
    »Es gibt sie gar nicht. Es sind Trugbilder.«
    »Und?«
    Ich nickte in Richtung des dunklen, nebelverhangenen Ungeheuers. »Ich glaube, das ist so ein Trugbild.«
    »Unsinn«, brummte er. »Es ist eine Insel.«
    »Meinst du? Ich glaube eher, das Meer treibt wie stets sein grausames Spiel mit uns, nur diesmal anders. Es gaukelt uns eine Insel vor, wo keine ist.«
    »Unsinn«, wiederholte William. »Siehst du nicht die Felsen?«
    Ich kniff die Augen zusammen. »Doch. Aber das will gar nichts heißen. Die Verdurstenden sehen die Bäume auch, als wären sie echt.«
    William ging darauf nicht ein. Stattdessen ruckte er an dem Balken, der uns trug. »Ich hoffe, die Strömung treibt uns da hin, bevor wir erfroren sind.«
    »Wir werden uns nicht auf eine Strömung verlassen.« Plötzlich war ich entschlossen. »Wir schwimmen hin.«
    »Muss man dir alles zweimal sagen? Ich kann nicht schwimmen.«
    »Jeder kann mit den Beinen strampeln. Du auch. Das genügt.«
    »Meine Beine sind taub vor Kälte.«
    »Dein Jammern wird uns nicht zur Insel tragen.« Ich versuchte, kräftig mit den Beinen ins Wasser zu schlagen. Doch der Knochensammler hatte recht. Ich konnte sie kaum mehr bewegen. Ich biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Kältestarre. »Los!«, knurrte ich. »Ich werde nicht die ganze Arbeit alleine

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