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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Wasseroberfläche. Der Mond ging auf und zog eine silberne Spur auf dem Meer. Es sah schön aus, doch ich glaubte, aus dem Glitzern würden sich jederzeit die Elfen erheben.
    »Nicht hinsehen«, riet ich ängstlich.
    »Wohin?« William schien verwirrt.
    »Aufs Meer. Sagtest du nicht, schon der bloße Anblick einer Elfe tötet einen?«
    »Ich weiß es nicht genau. Aber sicher ist, dass ein Jüngling von der Insel Man starb, weil er eine Nixe abwies.«
    »Abwies?«
    William räusperte sich: »Er hat sich ihren Liebkosungen entzogen.«
    Ich kicherte – ebenso verlegen wie er. Wieder rumpelte es in seiner Kehle, bevor er erklärte: »Sie warf aus Zorn nur einen kleinen Kiesel nach ihm, aber er starb nach sieben Tagen.«
    »Und das ist wirklich so geschehen?«
    »So wahr ich hier sitze.«
    Wir schwiegen. Entsetzt ertappte ich mich dabei, wie ich das Funkeln des Meeres im Mondlicht bewunderte. Wenn jetzt eine Elfe erschiene, wäre mein Leben verwirkt. Rasch wendete ich meinen Blick zu den Sternen. In ihrer Unendlichkeit schienen sie zum Greifen nah.
    »Willst du noch mehr hören?«
    »Nein.« Ich korrigierte: »Oder vielleicht doch.«
    William blickte ebenfalls in die Sterne und meinte versonnen: »Hast du schon mal einen Einfältigen erlebt?«
    Außer dir keinen, wäre mir beinahe entwischt, doch dann erinnerte ich mich an Bruder Gillecroids vom Mönchskloster auf Icolmkill, der dümmer war als ein Schaf, also an Einfalt nicht zu übertreffen. Seine Rede klang wie das Knurren eines Hirtenhundes, und sein Blick war leerer als die Weinhumpen der Ritter auf Colbhasa. Doch Gott segnet die Minderbemittelten und so auch die des Geistes. Also antwortete ich: »Bruder Gillecroids.«
    »Kennst du den Grund für seine Einfalt?«
    Ich dachte nach. »Er war schon immer so.«
    William schüttelte wissend den Kopf. »Bestimmt war er einmal ein schöner junger Mann. Denn Elfen tragen das Verlangen nach schönen Frauen und Jünglingen in sich, die sie mit Gewalt oder List rauben.«
    »Gillecroids – schön?« Selbst eine Ausgeburt der Hässlichkeit könnte über seinem Aussehen erstrahlen! Er sabberte, stank, lallte, trug einen Bauch vor sich her wie ein Schiffsbug, bei einer Größe von kaum vier Fuß.
    »Vorher war er bestimmt ein schöner Mann.«
    »Vor was?«
    William rollte vielsagend mit den Augen. »Bevor ihn die Elfen holten. Sie locken einen Menschen mit hingeschüttetem Gold, und wenn er danach greift, ziehen sie ihn mit unsichtbaren Händen hinab. So ein armer Teufel muss immer bei ihnen bleiben, kaum einer kommt je zurück – und wenn doch einer nach dem Todesschlaf die Sinne wieder erhält, so bleibt er für immer wahnsinnig und elbisch. Er bleibt bis zum Dahinscheiden mit dem Unterirdischen verbunden, und des Nachts, wenn die Elfen erscheinen, zieht er mit ihnen und tanzt mit ihnen. Hat dieser Mönch, dieser …«
    »Gillecroids«
    »Genau – hat er des Nachts je getanzt?«
    »Ich hatte nachts nie etwas mit Mönchen zu schaffen«, antwortete ich ausweichend, erinnerte ich mich doch an meinen eigenen nächtlichen Tanz. Doch der war weder von Einfalt noch von Elfentum geprägt. Sondern von reiner Wut.
    »Sei’s drum, glaub mir. Einfalt ist das Ergebnis von Elfenraub. So viel steht fest.«
    Wenn dem so war, dann war Elfenraub wohl ein häufiges Geschehen.
    Die Spur des Mondes auf dem Wasser wurde zur glitzernden Fläche, als hätte die Zellularin des Konvents alle Silberstücke der Welt darübergestreut. Doch kaum wagte ich einen Blick auf das flimmernde Wunder. Wahrscheinlich war all die Schönheit blendendes Elfenwerk. Sie warteten nur darauf, dass ich mich verführen ließ, um mich mit ihren Geisterhänden in die Tiefe zu ziehen. Falls ich je wieder hochkäme aus ihrem Totenreich, dann würde ich sabbern und glotzen und knurren wie Bruder Gillecroids, und mein Bauch würde zum Schiffsbug wachsen.
    Es war dringend nötig, von etwas anderem zu reden, denn an Schlaf war in dieser mondgetränkten Sternennacht nicht zu denken – ohne einen Windhauch, und in der Stille, die nur in einem gelegentlichen Plätschern innehielt, wenn das Wasser den Schiffsrumpf streichelte. Die Weite des Himmels und des Meeres war grenzenlos.
    »Wo ist das Ende der Welt?«, stellte ich mehr mir selbst die Frage als William, der den Knochensack zwischen den Beinen gefangen hielt.
    Doch William antwortete ohne Zögern und deutete dorthin, wo der Mond auf der Wolkenbank ruhte: »Da hinten.«
    »Dann ist das Ende der Welt aber bedrohlich näher

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