Die Knochentänzerin
nichts als Ruhe, und trotzdem ist man hellwach. Dann verlangt es einen nach Zerstreuung.«
Der Doge neigte das Haupt und lächelte gequält: »Natürlich. Er streifte Faliero mit einem misstrauischen Seitenblick. »Es sei mir erlaubt, dass ich mich zurückziehe.« Er erhob sich. Dann verneigte er sich wiederholt und verließ nach einer bestätigenden Handbewegung des Kaisers den Raum.
Karl wandte sich mit einem feinen Lächeln an Faliero: »Ihr könnt doch Schach spielen?«
»Leidlich. Die Frage ist nur, ob Dandolo ein Spiel im Haus hat.« Faliero schnippte mit den Fingern und redete auf den herbeigeeilten Diener ein. Dieser verbeugte sich, nickte und verschwand. Als er zurückkehrte, trug er einen schmalen Holzkasten. Karl beobachtete, wie er auf einem Tischchen Spielbrett und Figuren aufbaute.
Faliero wies zu dem Schachspiel hinüber. »Wollen wir?«
»Sehr gern.«
Die beiden Männer erhoben sich und gingen zu dem Tisch mit dem Schachspiel.
»Majestät, Ihr seid der Gast.« Faliero verbeugte sich. »Also gebührt Euch die Farbe Weiß.«
Der Kaiser ließ sich in dem Sessel nieder, dem die weißen Schachfiguren zugewandt waren. Das Spielbrett bestand aus edlen Holzintarsien, die Figuren aus schwarzem Marmor und Alabaster. Karl bemerkte, dass die goldenen Kronen der beiden Damen und Könige mit Rubinen verziert waren.
»Ein wunderbares Spiel hat Dandolo da.«
»Kriegsbeute aus dem Heidenland«, grinste Faliero, um fortzufahren: »Bestimmt kennt Ihr die Legende, die sich um das Schachspiel rankt.«
»Ihr meint die Weizenkornlegende?«, grübelte Karl und setzte einen Bauern zwei Felder vor. »Ich habe davon gehört, doch niemand konnte sie mir bisher erklären. Geht es darin nicht auch um Mathematik?«
»Richtig.« Faliero lehnte sich selbstgefällig zurück. Während der Mundschenk die Weinbecher brachte, erklärte er: »Die Legende stammt aus Indien. Sie handelt von einem Despoten, der Land und Leute tyrannisierte und nur Not und Elend brachte. Ein weiser Brahmane erfand deshalb ein Spiel, in dem die wichtigste Figur, der König, ohne Hilfe anderer Figuren und Bauern nichts ausrichten kann. Das Spiel begeisterte den König so sehr, dass er milder wurde und dem Brahmanen als Belohnung einen Wunsch gewährte.«
»Er wünschte sich Weizenkörner.«
»Richtig. Und zwar für jedes Feld auf dem Schachbrett immer die doppelte Menge – also ein Korn für das erste, zwei für das zweite, vier für das dritte, acht für das vierte – und so weiter …«
»Das müsste eine ungeheure Zahl ergeben.«
»So ist es«, bestätigte Faliero grinsend und stellte einen schwarzen Bauern dem weißen gegenüber. »Der königliche Rechenmeister benötigte mehrere Tage, um die Zahl herauszufinden. Und der Vorsteher der Kornkammer erklärte nach zwei Wochen, dass sich diese Kornmenge im ganzen Land nicht aufbringen ließe.«
»Also ließ sich der Wunsch nicht erfüllen.«
Faliero wiegte den Kopf: »Wie man’s nimmt. Der Rechenmeister half dem König aus der Klemme. Er schlug vor, man solle den Brahmanen den Weizen einfach Korn für Korn selbst zählen lassen.«
Karl lachte. »Ein weiser Vorschlag. Wie ging die Sache aus?«
»Davon ist nichts bekannt. «
»Interessant. Und lehrreich, wie die meisten Legenden.«
»Welche Lehre zieht Ihr daraus?«
»Nun – man braucht kluge Berater.« Karl schlug einen Läufer Falieros mit einem Springer und meinte dann beiläufig: »Seid Ihr ein solch kluger Berater des neuen Dogen von Venedig?«
Faliero ließ die Dame, mit der er ziehen wollte, über dem Spielbrett schweben. Schließlich antwortete er: »Pietro Dandolo zieht meiner Person andere Berater vor.«
Karls Augen ruhten auf der schwebenden Spielfigur. »Es hat mich überrascht.«
»Was?«
»Dass Ihr nicht selbst zum Dogen gewählt wurdet.«
Die Dame wurde hart aufgesetzt und schlug dabei Karls Springer. »Wie dem auch sei«, erwiderte Faliero nach längerem Schweigen. »Jedenfalls zählt Petrarca zum engeren Kreis des Dogen – ein Dichter.« Das letzte Wort klang besonders abfällig.
»Das mag keine schlechte Wahl sein. Dichter und Philosophen sind oftmals die klügsten Ratgeber.«
»Vorausgesetzt, sie verstehen etwas vom Handel und vom Kriegshandwerk.«
Eine Weile spielten sie schweigend mit wechselndem Geschick. Faliero war ein gewiefter Spieler, und Karl hatte wiederholt das Gefühl, der Venezianer gewähre dem hohen Gast absichtlich Vorteile. Schließlich ergriff er wieder das Wort: »Erinnert Ihr Euch noch an
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