Die Knochentänzerin
Sicht Venedigs bestimmt«, bestätigte Karl. Er betrachtete den roten Wein, der sich in seinem Becher langsam zur Ruhe schaukelte, dann fuhr er nachdenklich fort: »Da Ihr von Vermittlerrolle spracht – wie seht Ihr die Rolle der Serenissima in Bezug auf die derzeitigen Konflikte?«
Für Karl war es interessant festzustellen, dass nicht der Doge antwortete, sondern Faliero.
»Das hängt davon ab, von welchem Konflikt Ihr sprecht. Meint Ihr unsere Auseinandersetzung mit Genua – oder das ungarische Problem? Wenn die Lage in beiden Fällen weiter eskaliert, werden wir gezwungen sein, die Stärke der Serenissima mit unserer Flotte zu demonstrieren. Wir werden die Angriffe Genuas nicht weiter hinnehmen, genauso wenig wie die unakzeptablen Gebietsansprüche der Ungarn. Dalmatien ist und bleibt venezianisch.«
Der Kaiser antwortete bewusst ausweichend: »Wir beobachten die Entwicklungen mit Sorge. Doch ist es, von außen betrachtet, immer schwierig, die Lage objektiv zu beurteilen. Daher versteht, wenn ich vor allem bezüglich Genua einen neutralen Standpunkt einnehme.«
Während der Doge Wein trank, wurden Falieros Augen schmal. »Genua ist nichts weiter als ein lästiges Problem. Wenn diese Hunde es noch einmal wagen, ein venezianisches Schiff anzugreifen, zertreten wir sie wie Ungeziefer.« Betont beiläufig fuhr er fort: »Was aber sagt Ihr zu Dalmatien?«
Bevor der Kaiser antwortete, nahm auch er seinen Becher und nippte am Wein. Ungarn strebte auf, wollte expandieren, das stand außer Frage. Karl konnte und wollte aber seine böhmischen Wurzeln nicht leugnen – der Nachbar Ungarn stand ihm näher als die Serenissima. Der Doge und Faliero würden das auch wissen, und so spielte es keine Rolle, wenn die Antwort ein weiteres Beispiel von diplomatischen Floskeln war. »Mir ist bewusst, dass Städte wie Zadar, Split oder Nin größten strategischen wie auch wirtschaftlichen Wert darstellen. Sie sind als Handelsstützpunkte von größter Bedeutung. Deshalb verstehe ich Eure Sorge sehr gut.«
Falieros Stimme wurde aggressiver: »Die dalmatischen
nobile
verfolgten schon immer das Ziel städtischer Autonomie. Sie unterstellten sich deshalb Venedig aus freiem Willen. Allen voran Zadar. Seit hundertfünfzig Jahren werden die Ämter
comes
und Bischof dort von
uns
besetzt, und die meisten der Bewohner sind echte Venezianer.«
Das stimmte. Nicht ganz richtig hingegen war die Sache mit dem freien Willen. Städte wie Korčula, Hvar oder Brač waren Kriegsbeute – und Zadar konnte erst befriedet werden, nachdem eine Erhebung niedergeschlagen worden war. Danach baute die Serenissima dort eine Festung und siedelte gezielt Venezianer an, denen die Heirat mit Einheimischen bei Todesstrafe verboten war. Doch all dies waren Geschehnisse, die, wie Faliero erklärt hatte, seit hundertfünfzig Jahren der Vergangenheit angehörten. Die gegenwärtige Wahrheit sprach nun Pietro Dandolo, der Doge, persönlich aus. Dies tat er mit großem Pathos, wobei er seine Worte mit ausladenden Gesten untermalte.
»Fakt ist, Ladislaus von Anjou verkaufte anno 1309 Dalmatien für hunderttausend Dukaten an die Republik Venedig. Die Serenissima hat es also rechtmäßig erworben. Mein Titel
Dux Dalmatiae et Croatiae
ist und bleibt unantastbar. Dass ausgerechnet Ludwig der Erste – ironischerweise Spross aus eben jenem Hause Anjou – die venezianische Hoheit in Dalmatien aus fadenscheinigen Gründen in Frage stellt, ist eine Unverschämtheit – ja es kommt einer Kriegserklärung gleich.«
Der Kaiser bedachte den Dogen mit einem verständnisvollen Blick. Dann hob er bedauernd die Hände. »Meine Kanzlei hat bereits ein Schreiben aufgesetzt, das die Ungarn zu Besonnenheit mahnt. Ihr werdet aber verstehen, dass ich mich heute, zu dieser späten Stunde, nicht mehr persönlich zum Thema Dalmatien äußern möchte.«
Der Doge gab sich untertänig. »Verzeiht. Wahrlich, ich bin ein schlechter Gastgeber. Es ist unverantwortlich, dass ich Eure Majestät, den Kaiser, mit Venedigs Sorgen belästige – und das gleich am ersten Abend. Ihr müsst von der Reise müde sein. Ich bitte um Verzeihung. Ihr werdet Euch jetzt zurückziehen wollen. Ich kann nur hoffen, dass die bescheidenen Gemächer meines Palazzos den Ansprüchen Eurer Majestät genügen.«
»Das tun sie ganz gewiss. Ich möchte aber gern noch eine Weile hier bleiben und Euren Prokurator um eine Partie Schach bitten. Bestimmt ist Euch das Phänomen bekannt: Man wünscht sich nach einer langen Reise
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