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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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gekommen«, grübelte ich. »Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Wolken viel weiter weg.«
    William runzelte die Stirn, als wolle er sich ein Urteil bilden. »Es gibt zwei Möglichkeiten: Erstens, die Strömung ist sehr stark. Zweitens, die Wolken reisen schnell.«
    »Was geschieht, wenn wir dort ankommen?«
    »Wieder zwei Möglichkeiten. Entweder wir stürzen ins endlose Nichts, weil wir das Ende der Welt erreicht haben. Oder es ist der Sturm.« Er zog die Knie an, und Donnans Knochen klapperten im Sack. »Was beides auf dasselbe hinausläuft.«
    »Im Kloster gab es eine Schrift, die ich nicht kopieren durfte, weil der Inhalt gefährlich ketzerisch war.«
    »Und, was ist damit?«
    »Darin las ich, dass es ein Irrtum ist.«
    »Was?«
    »Es stand in dem Buch, die Welt sei keine Scheibe, an deren Rand man herunterfällt. Auch ist sie nicht das Zentrum des Himmels, und Jerusalem ist nicht der Nabel der Welt.«
    »Das glaube ich schon lange nicht mehr. Ich habe gehört, London ist mindestens genauso groß und noch viel wichtiger. Oder Rom oder Avignon, wo der Papst wohnt.« Er dachte laut nach: »Wenn die Welt keine Scheibe ist, was dann?«
    »Eine Kugel. So stand es in dem Buch. Die Erde ist eine riesige Kugel, die nicht am Himmel aufgehängt ist, sondern frei im Raum schwebt und sich dreht – um sich selbst und um die Sonne.«
    William lachte herzlich, ja er kugelte sich geradezu vor Lachen, und es brauchte eine Weile, bis er wieder sprechen konnte. »Eine Kugel? So ein Blödsinn!«, prustete er immer wieder. »Hat man so was schon mal gehört?«
    »Warum sollte es nicht stimmen?«
    »Na, denk doch mal nach.« William machte Gebrauch von seinem Hang zu Aufzählungen. Dabei nahm er die Finger zu Hilfe. »Erstens: Wir würden herunterfallen, das ist klar. Zweitens«, kicherte er, »eine solche Behauptung wäre gotteslästerlich und ketzerisch in einem. Und drittens: Uns würde ganz schön schwindelig werden bei der ganzen Dreherei.«
    »Aha«, sagte ich nur und beließ es dabei, doch lag mir auf der Zunge, dass der Diebstahl heiliger Gebeine auch nicht zur Ehre Gottes gereichte. Weiterhin mied ich den verführerischen Anblick des Meeres, ebenso wie das Starren himmelwärts. Um bei William zu bleiben, erstens, weil ich nicht wollte, dass mich die Elfen holten, und zweitens, weil mir plötzlich die Tatsache Angst machte, dass man die Sterne nicht zählen konnte. Stattdessen fiel mein Blick auf ein Fass, festgezurrt rechts hinten im Heck.
    »Ein Fass«, stellte ich fest und deutete in besagte Richtung.
    »Bestimmt gefüllt mit Wasser.« William nickte wie zur Bestätigung. »Es ist sinnvoll, Wasser auf dem Schiff zu haben, sonst kann man leicht verdursten.«
    »Ich bin jetzt schon durstig.« Ich leckte über meine Lippen.
    William erhob sich und stakste zum Heck. Er hob den Deckel, steckte einen Finger ins Fass, zog ihn wieder heraus und schleckte. »Wein!«, erklärte er hocherfreut.
    »Wasser wäre besser.«
    Sein Grinsen wurde breit. Dann bückte er sich und hob etwas auf. »Sieh an, der Lord von Colbhasa hat an alles gedacht. Sogar an Becher. Vielleicht wird die Fahrt doch noch lustig.«
    »Du wirst dich nicht betrinken!«, mahnte ich.
    »Nur ein bisschen.« Sein Grinsen verschwand. »Nur bis ans Ende der Welt.«

    Ich schwamm im mondsilbernen Meer. Ein Boot ganz aus Glas glitt auf mich zu, der Elfenkönig trug eine Krone aus sich windenden Schlangen, pulsierende Silberadern durchzogen seine durchscheinenden Flügel. Das Gesicht wie aus Marmor, so wunderschön wie kalt, glänzte mit goldenen Wasserperlen. Er trug ein Gewand aus Seegras, in dem ein Sternenmeer von Kristallen glitzerte. Er streckte die Hand aus, wie Wasser floss sie klar und durchsichtig zu mir, darin lag ein goldener Apfel an einem Silberzweig. Glücklich lächelnd griff ich danach, doch da verschwand der Apfel, ein bleicher Knochen steckte in meiner Faust, und der Elfenkönig war wie durch Zauber in ein Skelett aus Glas verwandelt, das mich angrinste und mehr und mehr Williams Züge annahm. Dann lag ich da, meine Wange gebettet auf das steinige Ufer einer Insel. Der Wind und die Möwen sangen ein Lied aus schauerlichen Dissonanzen. Wellen schwappten über meinen Leib. Alles drehte sich. Ich schlug die Augen auf. Über mir kreiste der Himmel, ein seltsames, fahles Grau. Meine Wange ruhte auf einem spitzen Stein. Mein Haar rieb an etwas – ein Ast?
    »Du hast geschnarcht«, klang ein Lallen neben mir.
    William. Warum war seine Stimme so

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