Die Knochentänzerin
näherte sich bedrohlich seinem Gesicht.
Keiner achtete auf mich. Mit einem raschen Schritt war ich an der Wand. Ich riss die Fackel aus der Halterung und schleuderte sie ins Stroh. Sofort schlugen die Flammen hoch.
»Feuer!«, schrien die Mönche und rannten in wilder Panik durcheinander. Wir verstanden uns blind. Schon waren wir bei der Tür und gleich darauf im Klosterhof. William wuchtete die Knochensäcke aus dem Schweinekoben. Jeder mit einem Sack über der Schulter rannten wir über den Hof. Durch die Pforte gelangten wir hinaus.
Wir hielten erst inne, als wir die letzten Hütten von Inbhir Nis hinter uns gelassen hatten.
»Nicht einmal Mauern und Tore hat dieses Nest«, schnaubte William verächtlich.
Nach Atem ringend blickte ich mich um. »Wohin jetzt? Zum Hafen?«
William schüttelte den Kopf. »Was wollen wir mit einem Schiff. Wir müssen dem Nis nach Urquhart Castle folgen. Dafür brauchen wir den Kahn nicht. Es geht flussaufwärts.«
Er schien kein Freund von langem Nachdenken, was unser nächstes Ziel betraf. Stattdessen streifte er mich mit einem nachdenklichen Blick und bemerkte: »Du hast den Mönchen den roten Hahn aufs Dach gesetzt.«
»Nicht aufs Dach, in Refektorium, Kapelle und Schlafsaal in einem«, verbesserte ich und fügte hinzu: »Auf Icolmkill gab es strengere Vorschriften, was die Lagerung von Stroh betrifft.«
Noch von weitem sahen wir die Flammen in den nächtlichen Himmel über Inbhir Nis schlagen und ihn beleuchten wie Morgenrot.
17
Marino Faliero ändert seine Pläne
F alieros von seinen beiden Leibwächtern eingerahmter Stand unter der neugestalteten Porta Aurea war absichtlich gewählt und symbolträchtig. Den Platz über dem rechteckigen Eingang krönte der geflügelte Markuslöwe mit der geöffneten steinernen Bibel. Vor diesem erahnte man eine kniende Figur, doch bisher waren nur die groben Umrisse zu erkennen – hier musste der Bildhauer sein Werk erst noch beenden. In Falieros Machtträumen würde die Nachwelt hier einst seine Gestalt und Gesichtszüge bewundern. Über dem Großfenster, vor dem der Löwe stand, hielten drei in Stein gehauene Engel ein Relief mit dem segnenden heiligen Markus, darüber thronte Justitia. Die Nischen zwischen den Strebepfeilern neben der Porta wurden von den vier Kardinaltugenden eingenommen: Caritas, Prudentia, Temperantia und Fortitudo.
Die Porta Aurea war das Werk der beiden größten Baumeister und Bildhauer Venedigs: Maestro Giovanni Bons und seines Sohns Bartolomeo. Die Bauarbeiten waren Teil einer umfassenden Umgestaltung des Palazzos, die auf Beschluss des vorletzten Dogen Bartolomeo Gradenigo begonnen worden waren und noch immer einen beträchtlichen Teil des Dogenpalastes in eine Baustelle verwandelten.
Aus diesem Grund – und wegen des schönen Wetters – hatte der Kaiser den Innenhof gewählt, um dem Rat Venedigs die Grundzüge seines neu verfassten kaiserlichen Rechtbuchs zu erklären. Der Entschluss dazu war in der Nacht während einer schlaflosen Stunde gefallen. Bischof Albert von Sternberg, der der Schlaflosigkeit seines Kaisers die eigene Nachtruhe opfern musste, stand ihm mit seinem Rat zur Seite. Sternberg hatte die selbstverliebten Machtgelüste Venedigs immer mit Argwohn betrachtet und war sofort Feuer und Flamme für Karls Plan gewesen. Es könnte nichts schaden, der venezianischen Arroganz dieses revolutionäre kaiserliche Verfassungsdokument entgegenzuhalten, in dem zum ersten Mal die Richtlinien für die Königswahl schriftlich niedergelegt waren. Nichts war mehr zu einer Demonstration kaiserlicher Macht geeignet als das Rechtbuch.
Die Morgensonne hatte eine Hälfte des Innenhofs in Licht getaucht, die Porta Aurea, unter der Faliero stand, lag im Schatten. Faliero interessierte sich wenig für das kaiserliche Rechtbuch. Karl thronte als Mittelpunkt im Hof, eingerahmt von seinen Insignienträgern sowie seinem Kanzler und Albert von Sternberg. Dieser hielt die kunstvolle Handschrift hoch, während er wortreich die Bilder im geöffneten Buch erläuterte: Zu sehen sei der Kaiser in blauer Tunika, flankiert von sechs Kurfürsten, von denen einer der Kölner Erzbischof sei.
Dandolo, auf einem ähnlichen Thron wie der Kaiser sitzend, wirkte verkatert. Er sah blass aus, mit tiefen Augenringen, und löste nun langsam seine Finger von einem der goldenen Löwenköpfe an den Armlehnen, um hinter der Hand ein Gähnen zu verstecken. Sein Festgewand, obwohl aus teuersten Stoffen, wirkte aus der Entfernung billig,
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