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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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kalten, starren Augen.
    Gradenigos Palazzo tauchte hinter einer Brücke auf, die sich über den Canal wölbte. Faliero hatte sich immer über die Einfallslosigkeit des Architekten gewundert. Wie konnte man in einer Stadt wie Venedig zwischen all die prachtvollen Bauwerke einen solchen Kasten stellen? Das einzig auch nur annähernd Kunstvolle an diesem steinernen Klotz waren die geschwungenen Fensterbögen der Loggia, ansonsten war alles grau, gerade und langweilig. Nun, in gewisser Weise passte das Haus zu Giovanni Gradenigo und der schier endlosen Ahnenreihe von Gradenigos vor ihm. Alter, verstaubter Adel, dachte Faliero, blutleere Menschen, die ihre Titel und Reichtümer von Generation zu Generation weiterreichten, ohne je etwas dafür tun zu müssen. Allein die Tochter, glaubte man den Gerüchten, schlug aus der Art – und zwar, wie Faliero hoffte, auf durchaus hoffnungsvolle Weise. Um herauszufinden, ob es sich lohnte, mit Giovanni um sie zu handeln, war er gekommen. Er würde sich irgendwo niederlassen und das Täubchen in aller Ruhe begutachten.
    Das Boot schabte am Anlegesteg entlang und lag dann mit einem Ruck still. Faliero ignorierte die ausgestreckte Hand seines Gondoliere und sprang ohne Hilfe an Land. Dann setzte er die Möwenmaske auf und ließ sich von einem Lakaien in den Palazzo geleiten.

    Faliero war nicht zum ersten Mal bei Gradenigo zu Gast, doch stets ließ er sich nach dem fantasielosen Äußeren des Palazzos aufs Neue vom lichtdurchfluteten, geschmackvoll ausgestatteten Atrium überraschen. Alabasterschalen aus Volterra leuchteten weiß zwischen Palmen, Orchideen und römischen Statuen aus schwarzem Marmor. In einer in den Mosaikboden eingelassenen Wanne aus schwarzem Muranoglas schwammen chinesische Karpfen. Im gesamten Innenhof herrschten neben dem Grün der Pflanzen die Farben Schwarz und Weiß vor. Selbst die weißlivrierten Diener erfüllten diesen Kontrast: Es waren allesamt Mohren. Und Gradenigo hatte seine Gäste gebeten, sich ebenfalls ausschließlich in Schwarz und Weiß zu kleiden. Dieser Bitte waren alle nachgekommen – mit einer Ausnahme. Als Faliero den Innenhof betrat, wusste er sofort, wer es unter den etwa fünfzig Anwesenden war, die weder einen schwarz-weißen Umhang trug noch eine Maske in diesen Farben. Eingerahmt von einer stattlichen Männerschar stand im Zentrum des Atriums ein Mädchen, gekleidet als Pfau. »Aluicha«, murmelte Faliero, während er im Schatten einer Marmorsäule stehen blieb, um das bunte Wesen, das den Mittelpunkt der Gesellschaft bildete, zu begutachten. Ihr Kleid war über und über mit Pfauenfedern bestückt, die hinter ihrem Rücken tatsächlich ein Rad schlugen. Die Maske mit dem spitzen Schnabel war das Abbild eines Pfauengesichts, unter dem volle rote Lippen leuchteten. Als Faliero bemerkte, wie sich die schwarzen Mandelaugen hinter der Maske auf ihn richteten, trat er, wie ertappt, rasch weiter hinter die Säule.
    »Marino!« Gradenigo, mit schwarz-weißer Maske, kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, erkannte ihn Faliero sofort. Die trippelnden Schritte, die helle, aufdringliche Stimme, die dunklen Augen, deren schwarzen Glanz er der Tochter vererbt hatte. Die Tonmaske verdeckte eine spitze Nase und ein ebenso spitzes Kinn. »Mein teuerster Freund! Warum versteckst du dich denn?«
    Faliero brummte einen Gruß und nahm den gläsernen Becher entgegen, in dem der Rotwein schwappte. Er spürte, wie Gradenigos Hand unter seinen Ellbogen fuhr und ihn aufdringlich zur Mitte des Innenhofs schob. Dort verstummten die Gespräche sofort. Faliero nahm die Umstehenden nur wie Schatten wahr. Ein schwarzes Augenpaar fixierte ihn magisch, schien ihn zu dirigieren und dabei spöttisch zu funkeln.
    »Meine Tochter!«, erklärte Gradenigo theatralisch und wandte sich an sie: »Mein Herz, ich stelle dir einen der wichtigsten Männer unserer Stadt vor: Marino Faliero, Kommandeur der Flotte, Botschafter Venedigs, Ratsvorsitzender. – Marino: meine Tochter, Blüte Venedigs, Aluicha.«
    Eine feuerrot behandschuhte, zierliche Rechte hob sich Faliero entgegen. Wie in Trance spürte er die Berührung seiner Lippen mit dem kühlen seidenen Stoff. Er sah die schmale Taille, die marmorweiße Haut an Hals und Armen, das schwarze Haar, die roten Lippen mit leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln, wie bei einem trotzigen Kind. Der Duft von Rosenblättern zog sich wie ein feines Netz um ihn.
    »Signore Faliero.« Aluichas Stimme hinter

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