Die Knochentänzerin
Liturgie und des Osterfestes zu folgen. Doch die Mehrheit der Iren – so auch mein Kloster – sind ergebene Gläubige im Sinne der Heiligen Schrift und getreu dem Willen des Heiligen Vaters in Avignon.«
Bedeutete Williams Räuspern, ich solle bei meinen Reden mehr Vorsicht walten lassen? Bevor ich weitersprechen konnte, ergriff wieder Wilhelm zu Köln das Wort:
»Euer Konvent, Clonmacnoise, gehört, wie ich sehe dem Franziskanerorden an.«
Ich blickte an meinem gestohlenen Habit hinunter. Die Tatsache, dass der Erzbischof die irische Aussprache des Klosternamens beherrschte, trug nicht dazu bei, dass ich mich sicherer fühlte. Williams Räuspern ging inzwischen in ein Hüsteln über.
Ich versuchte mein bezauberndstes Lächeln. War nicht auch ein Bischof ein Mann und somit empfänglich für ein strahlendes weibliches Gesicht? Ich öffnete den Haken des Reliquienkästchens und hob den Deckel. Wenn nicht mein Lächeln, konnte dann vielleicht der Fingerknochen des heiligen Patrick, nebst von mir verfasster Urkunde, die bezeugte, dass er echt war, Wilhelm zu Köln genügend weit vom Thema abbringen, damit ich nicht in irgendwelche Stolperfallen geriet? Erwartungsvoll sah ich den Erzbischof an. Der wiederum blickte ins Kästchen und begann nun zu nicken, als habe sich für ihn eine lang gehegte Vermutung bestätigt. Nun schnippte er mit den Fingern. Dass dies den schattenhaften Sekretär in Begleitung der beiden Torwachen zurück in den Saal brachte, bekam ich nur am Rande mit. Umso deutlicher jedoch die folgenden Worte Erzbischof Wilhelms zu Köln, für die er theatralisches Bedauern in seine Stimme legte: »Also stimmt es, was mir zugetragen wurde. Ein Betrüger und seine als Nonne verkleidete Gehilfin sind die Diebe der wertvollen Fingerreliquie der heiligen Ursula.« Müde und mit einem Mal geduckt, als laste alles Schlechte der Welt schwer auf seinen Schultern, befahl er den Wachen: »Ergreift sie. Werft sie in den Kerker. Morgen werde ich Gericht halten über sie.«
25
Marino Faliero erklärt die Eigenschaften der Macht
A luicha Gradenigo war trotz ihrer erst sechzehn Jahre eine Schönheit mit mandelförmigen Glutaugen, schwarzem Haar und bereits allem anderen, was einem Mann gefällt. Darüber hinaus entstammte sie einer der sogenannten apostolischen Familien Venedigs, die zu den bedeutendsten und ältesten Bewohnern der Serenissima gehörten. In ein paar Jahren würde sie den Titel
Herzogin
führen. Wollte man in Venedig vorankommen, war eine Verbindung mit der Familie Gradenigo äußerst erstrebenswert.
Es gab also zwei Gründe, warum Faliero sich trotz des gewaltigen Altersunterschiedes für Aluicha interessierte – schließlich ging es bei solchen Dingen nicht um Gefühle, sondern um Politik und Geschäfte. Das dachte Faliero zumindest, als er beschloss, es sei trotz seines fortgeschrittenen Alters an der Zeit, sich nach einem neuen Eheweib umzusehen. Bis dato hatte er Aluicha noch nie gesehen, doch natürlich war ihm zugetragen worden, dass sie zu einer wahren Schönheit heranwuchs. Was also sprach dagegen, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden? Auch der Anlass war gegeben. Giovanni Gradenigo hatte zum Maskenball geladen, um seine Tochter in die noble Gesellschaft Venedigs einzuführen.
Im Grunde verachtete Faliero die Sucht der Venezianer, sich zu maskieren. Er fand es lächerlich und dumm, sich Dinge vors Gesicht zu halten, um zu verbergen, was in Wahrheit dahintersteckte. Seiner Meinung nach war das etwas für das niedere Volk, den Plebs, der sich durch Maskierung für ein paar Stunden zu dem erheben konnte, was sonst unerreichbar war. Der Knecht wurde zum Herrn, der Diener zum Grafen, die Magd zur Herzogin. Einer wie er hatte das nicht nötig, seine Maske
war
das Gesicht, die Mimik. Wenn ihm beliebte, konnte er sie versteinern oder das wärmste Lächeln aufsetzen, das jeden in seiner Umgebung verzauberte, obwohl er im Innern kalt war wie Eis. Doch natürlich fügte er sich venezianischer Gepflogenheit, und so hielt er, während der Gondoliere das Boot über den Rio Marin steuerte, die weiße Maske mit dem Möwengesicht bereit. Er grinste, als er einen der Seevögel tatsächlich sah, der zunächst über ihm im blauen Himmel schwebte und seine spitzen Schreie ausstieß. Dann glitt die Möwe tiefer, fuhr herab aufs Wasser und ließ sich nun mit ihrer Beute, einem Fisch, im Schnabel flügelschlagend treiben. Sie schlang den Fisch hinunter und musterte dabei die vorbeigleitende Gondel mit
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