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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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musste sterben. Auf diese Weise. So war es richtig und gut. Daran ließ sich nichts ändern. Basta.
    »Nun?«
    Er betrachtete entrückt, wie sie es zustande brachte, nur die linke ihrer geschwungenen Brauen zu heben.
    »Ich habe nichts empfunden.«
    »Nichts?« Sie klang enttäuscht. Die Braue schwebte noch höher. »Ihr habt
nichts
empfunden? Das heißt, Ihr habt sie auch nicht geliebt.«
    Das geht dich nichts an, du ungezogenes Kind, dachte er und hörte sich trotzdem antworten: »Doch.«
    »Erklärt es mir.« Es war keine Frage, beinahe klang es wie ein Befehl.
    Nun nahm auch er die Maske ab, legte sie neben sich auf die Bank und betrachtete nachdenklich den tönernen weißen Möwenkopf auf dem schwarzen Marmor. »Es geht um Macht und Ohnmacht«, antwortete er schließlich und hielt dann wieder inne. Das versteht sie sowieso nicht, dachte er.
    »Ja.«
    Überrascht drehte er den Kopf zu ihr. Wollte sie etwa behaupten, sie wüsste, was er damit meinte? Er lächelte nachsichtig. Nun ja, auch wenn sie bereits aussah wie eine verführerische Frau – sie war noch ein Kind. Kein Wunder, dass sie tat, als verstünde sie alles. Sie wollte nur nicht unreif wirken.
    »Ihr meint, es gibt die Mächtigen und die Ohnmächtigen. Von Letzteren gibt es sehr viele. Die meisten. Mächtige gibt es nur wenige – Auserwählte. Macht kommt nur zu denen, die sie auch handhaben können. Alle anderen können sie vielleicht für einen Moment spüren. Doch dann wird sie ihnen wieder genommen.«
    Faliero war sprachlos. Eigentlich war dem, was dieses verwöhnte Kind gerade von sich gegeben hatte, nichts hinzuzufügen. Besser hätte er es nicht erklären können. Trotzdem fühlte er sich zu einer ausführlichen Erklärung bemüßigt. »Macht hat viele Gesichter. Sie ist ein Schwert. Manchmal ein zweischneidiges, manchmal ein Damoklesschwert. Man bekommt sie weder kampflos, noch kann man sie ohne Kampf erhalten. Weißt du, wie es bei den Wölfen ist?«
    »Es gibt einen Leitwolf, und der begattet alle Wölfinnen des Rudels. Meint Ihr das?«
    Faliero war für einen Moment durch das unschuldige Lächeln, das Aluichas Worte begleitete, aus dem Konzept gebracht. Er räusperte sich. »Nun, das ist vielleicht eine Annehmlichkeit, die sich für den Leitwolf ergibt …«
    »Geht es nicht darum? Um diese – wie Ihr es nennt –
Annehmlichkeit

    »Nein. Es geht um die Form des Lebens und des Überlebens. Ein Wolf, der das Rudel führt, muss jeden Tag aufs Neue um seine Position kämpfen. Dabei riskiert er jedes Mal sein Leben. Er darf keinerlei Schwäche zeigen. Tut er das, zerfleischen ihn die anderen Wölfe. Darüber hinaus muss er seinen Widersachern deutlich zeigen, wie gefährlich es ist, sich mit ihm anzulegen. In einer menschlichen Gesellschaft ist das nichts anderes. Homo homini lupus …«
    »… non homo, quom qualis sit non novit. Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, nicht ein Mensch, wenn man sich nicht kennt. Titus Maccius Plautus.«
    Faliero flüchtete sich in eine spöttische Floskel, um nicht erneut sprachlos zu sein. »An deiner klassischen Ausbildung ist jedenfalls nichts auszusetzen.«
    Aluicha ging darauf nicht ein. Eine feine Falte zeigte sich auf der Wurzel ihres Näschens. »Erzählt mir mehr von der Macht. So wie Ihr sie definiert«
    Faliero fand den kindlichen Ernst, den sie zur Schau stellte, rührend. Er betrachtete die Hand, die noch immer auf seinem Arm lag. »Nun gut. Wie gesagt, ich unterscheide die Mächtigen und die Ohnmächtigen. Die Mehrzahl der Menschen gehört zu Letzteren. Sie sind schwach, verlogen, weich. Zu weich, um schwierige Entscheidungen zu treffen. Sie sind lediglich in der Lage, die zu kritisieren, die es tun, und werden stets behaupten, es sei unmenschlich, grausam, und sie wüssten viel bessere Lösungen. Ich gebe dir ein Beispiel: ein General. Es herrscht Krieg. Die Aufgabe des Generals ist es, für sein Land den Sieg zu erringen. Dafür muss
er
Leben opfern. Die Entscheidung über Leben und Tod ist die schwierigste überhaupt – es sei denn, man hat kein Gewissen. Stell dir die Verantwortung vor – über Hunderte, vielleicht Tausende Leben zu richten! Später wird man dafür Zeugnis ablegen müssen vor den anderen, vor sich selbst, vor dem Herrn. Hat man richtig gehandelt? War man mutig oder feige? Hat man vielleicht sogar Leben aus Mitleid geschont, aus Schwäche – und dadurch viele andere verloren? Eine harte Strafe, eine Hinrichtung ist oft nötig, um andere von schlimmen Taten abzuhalten.

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