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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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noch rechnete, erzählte der Erzbischof weiter.
    »Zuletzt blieb nur Ursula übrig. Der Hunnenfürst, der sie zum Weib begehrte, hatte befohlen, sie zu verschonen. Doch selbstverständlich weigerte Ursula sich standhaft. Sie starb, als ein Pfeil des abgewiesenen Hunnen ihr Herz durchbohrte.«
    Am Getrappel von Williams Füßen neben mir erkannte ich, dass er langsam ungeduldig wurde. Doch Erzbischof Wilhelm zu Köln hatte noch mehr zu erzählen und wieder wiegte er bedächtig sein Haupt.
    »So geht die eine Geschichte. Es gibt aber noch eine andere, die besagt, die Jungfrauen stießen damals bei ihrer Landung in Köln auf die Hunnen, als diese die Stadt belagerten. Allen Frauen wurde zuerst von ihnen Gewalt angetan, danach erlitten sie den grausamen Tod durch Pfeil oder Schwert. Doch der Allmächtige hatte den Frevel gesehen. Er schickte elftausend Engel vom Himmel, und die Hunnen wurden vertrieben. Ein Kölner Bürger erbaute eine Kapelle auf dem Schlachtfeld, auf dem die Jungfrauen ihr Leben gelassen hatten. In Stein ließ er die Namen derer meißeln, die bekannt waren: Pinnosa, Brittola, Martha, Saula, Sambatia, Gregoria, Saturnia und Palladia …«
    Erneut konnte ich – ohne William anzusehen – spüren, was in ihm vorging. Sein ungeduldiges Trampeln hatte aufgehört, dieser Teil der Geschichte interessierte ihn brennend. Schon schoss die Frage aus seinem Mund: »Und dort liegen die Gebeine der Jungfrauen? Der elftausend?«
    Wilhelm bedachte ihn mit einem milden Lächeln. »Ungeduld, mein junger Freund, ist ein Laster, das es zu zähmen gilt wie einen jungen Hengst. Nun, es ist so. Man fand ihre Gebeine im Jahre des Herrn 1106 auf dem Grund der Römersiedlung Colonia Agrippinensis.«
    »Ja?«, brach es aus William heraus.
    »Ja.« Wilhelm beließ es bei diesem einen Wort.
    »Und?« William wollte sich nicht nach dem Rat des Bischofs richten, seine Ungeduld zu zügeln. »Sind die Knochen jetzt noch dort?«
    Wilhelm zeigte uns seine Handflächen, als wolle er beweisen, dass er unbewaffnet sei. »Natürlich nicht. Über zweihundertfünfzig Jahre sind seither vergangen. Ihr seid nicht der Einzige und Erste, der Reichtum im Handel mit heiligen Gebeinen sucht.«
    »Wo sind die Knochen hin? Elftausend Jungfrauen! Die sind doch nicht alle einfach verschwunden?«
    »Weiß man es?« Die bischöflichen Handflächen schimmerten marmorweiß. »Vielleicht hierhin, vielleicht dorthin.«
    »Nicht ein Anhaltspunkt über den Verbleib?«
    Wilhelm dachte nach. »Prag«, sagte er schließlich. »Eine Spur, so heißt es, führt nach Prag.«
    »Prag«, wiederholte William dumpf.
    Wilhelm bestätigte dies mit gewichtigem Nicken. »Der Kaiser baut dort gerade einen neuen Dom. An solchen Orten ist der Bedarf an Reliquien, wie man weiß, besonders groß.«
    »Aha.« Mehr brachte William diesmal nicht heraus. Doch der Ursprung seiner Einsilbigkeit war leicht erkennbar. Die Gedanken hinter seiner Stirn waren weit wortreicher.
    »Doch nun zu Euch, Schwester.«
    Sowohl William als auch ich zuckten beim plötzlichen Themawechsel des Bischofs zusammen. Ich presste das Kästchen noch fester gegen meinen Busen. Meine Lippen zitterten, als ich hervorpresste: »Ja?«
    »Erzählt mir von Euch. Von Irland.« Die aufmunternden Worte des Erzbischofs erreichten meine Ohren, schienen aber dort hängen zu bleiben.
    »Nun …«, stotterte ich, während Wilhelms Blick eine weitere Schicht von meinem Körper schälte.
    »Ich bin neugierig. Schließlich weiß man, dass die Kirche zu Zeiten der heiligen Ursula dort einen anderen Weg einschlug als hier.«
    Verzweifelt wühlte ich in meinem Kopf nach Wissen, das ich auf Icolmkill über Irland erworben hatte. Aber warum nur hatte ich mich von William wieder einmal dazu überreden lassen, die Wahrheit zu verbiegen? War ich so damit beschäftigt gewesen, mich gegen die anderen Lügen zu wehren, dass mir der Ursprungsort meines Klosters als weniger wichtig erschien? Doch was machte es hier in der Fremde für einen Unterschied, ob ich von einer Hebrideninsel kam oder von einem Ort, der, wie man auf Icolmkill dachte, dem Ende der Welt noch weitaus näher lag als der eigene Konvent.
    »Ihr sprecht von den Auseinandersetzungen der Kirche Irlands mit Rom?« Dunkel erinnerte ich mich an den Streit, den Bischof William von Orkney mit dem Papst ausfocht. In der Hoffnung, dass dies die keltische Kirche insgesamt betraf, fuhr ich vorsichtig fort: »Ein Teil der irischen Geistlichkeit weigerte sich, Rom bei der Änderung der

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