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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Würde, obwohl er Güte und die fromme Erhabenheit seines Amtes ausstrahlte, sträubte sich mir wie einer Katze das Fell. Verbarg sich hinter Wilhelms freundlicher Haltung noch etwas anderes? Etwas Lauerndes?
    »Wisst Ihr etwas darüber?«, hörte ich William fragen, während ich noch über den Bischof rätselte, der wiederum wohlwollend antwortete:
    »In Köln gibt es keinen, der besser darüber Bescheid weiß als ich.«
    »Also stimmen die Gerüchte.«
    Der Erzbischof wiegte sein mit einem violettem Pileus bedecktes Haupt. Erst als er einem der schwarzen Schatten, die ihn flankierten, ein Zeichen gab, bemerkte ich die Anwesenheit der beiden bischöflichen Sekretäre wieder. Zu sehr war ich bisher auf Wilhelms Präsenz fixiert. Als der Sekretär geräuschlos hinter einer hohen Flügeltür verschwunden war, sprach der Bischof wieder.
    »Das Merkmal von Gerüchten ist, dass einige von ihnen der Wahrheit entsprechen, andere nicht. Das wiederum liegt an ihrer Entstehung. Im Kern ist ein Gerücht wahr, doch im Laufe der Zeit und des Weges, den es geht, saugt es andere Wahrheiten, Wahrnehmungen und Meinungen auf wie ein Schwamm.«
    An dieser Stelle des bischöflichen Vortrags änderte ich meine anfängliche Meinung, Wilhelm käme ohne Umwege zum Thema. Nun schwafelte er.
    »Die Geschichte – oder Sage – der heiligen Ursula und ihrer Begleiterinnen ist wie ein solcher Schwamm. Übrigens …« Das Kichern des Bischofs hielt ich zunächst für ein Husten. »… wusstet ihr, dass der Name
Ursula
nicht nur
kleine Bärin
bedeutet, sondern auch noch
kleines Schlachtross
? Jedenfalls, sie lebte vor ziemlich genau eintausendundfünfzig Jahren – hier in dieser Gegend, so viel steht fest. Auch besagt die Legende, sie sei sehr schön gewesen – und sie habe sich ewiger Jungfräulichkeit verschrieben.« An dieser Stelle ruhte Wilhelms Blick nachdenklich auf mir. »Ursula, die Tochter des Königs Maurus, wurde trotz ihres Gelübdes, lebenslang unberührt zu bleiben, mit dem englischen Fürstensohn Aetherius verlobt, dem der Kaiser für erwiesene Treue – man stelle sich vor – die ganze Bretagne geschenkt hatte. Ursula bat sich drei Jahre Bedenkzeit aus und verlangte, dass Aetherius während dieser Zeit im Christentum unterrichtet und getauft werde. Sie selbst wollte sich mit zehn Jungfrauen, zu denen sich später noch weitere neunhundertneunundneunzig gesellen sollten, vorbereiten. Sie alle sollten geweiht und in Ritterspielen unterrichtet werden.«
    Wilhelm zu Kölns wasserblaue Augen waren immer noch starr auf mich gerichtet. Was wollte mir sein Blick sagen? Wie steht es um dein Gelübde der Jungfräulichkeit? So jedenfalls schien es mir, denn obwohl er beim Erzählen weiterhin freundlich dreinschaute, kam es mir vor, als schäle mir sein Starren Stück für Stück die Kleider vom Leibe wie einer Zwiebel die Schalen. Unwillkürlich hob ich, wie zum Schutz, das Reliquienkästchen hoch, vor meine Brust.
    »Man baute Schiffe, da die Jungfrauen unter weltlichem und geistlichem Schutz nach Rom reisen sollten. Doch ein schwerer Sturm auf der rauen Nordsee – oder war es Gott unser Herrscher selbst – lenkte die Schiffe in die Rheinmündung und von dort hierher. Nach Köln. Königin Sigillindis begrüßte sie mit überschwänglicher Freude, konnte die Reise jedoch nicht aufhalten. Ursula befahl, auf dem Rhein weiter nach Basel zu segeln, um von dort auf Schusters Rappen nach Rom zu gelangen. Auch Aetherius, dem ein Engel im Traum befohlen hatte, seiner Braut entgegenzufahren, traf bald in Rom ein. Papst Siricius empfing Ursula und ihre Gefährtinnen, er und viele Bischöfe schlossen sich dem Zug zurück nach Köln an. Doch im Hintergrund nahm schon das Unglück seinen Lauf. Zwei christenfeindliche Römer begehrten Ursula, wurden jedoch abgewiesen. Sie sannen auf Rache, verbündeten sich mit den Hunnen und stifteten diese an, ein grausames Blutbad anzurichten. Das Blutbad fand hier, vor den Toren Kölns statt. Kaum waren die Schiffe angekommen, töteten die Hunnen alle elftausend Jungfrauen.«
    Während Wilhelm von der Dramatik seiner eigenen Rede davongetragen wurde, grübelte ich über meine Rechenkünste. Hatte ich auf Icolmkill nicht zur Genüge den Mathematikunterricht Schwester Deirdres genossen? Wenn ich nun alles zusammenzählte – Ursula plus zehn Jungfrauen, zuzüglich noch einmal neunhundertneunundneunzig entsagungsvolle Weiber –, kam ich nie und nimmer auf die von Wilhelm bezifferte Zahl: elftausend. Während ich

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