Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
Vom Netzwerk:
der Pfauenmaske mit dem spitzen Schnabel klang etwas rauh, mit dunkler Färbung, ohne irgendeine Spur von Unsicherheit.
    Faliero hörte den Klang und nickte. Er spürte, wie ihn die schmale, kühle Hand der Sechzehnjährigen aus dem Kreis der Bewunderer führte. Dabei wunderte er sich, dass er es geschehen ließ.
Er
war derjenige, der die Menschen führte und lenkte, nicht umgekehrt. Sie drückte ihn auf eine Bank aus schwarzem Marmor. Als er saß, glaubte er die Wärme ihres Körpers zu spüren. Der spitze Pfauenschnabel war nur wenige Handbreit von seinem Gesicht entfernt. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ihm Gradenigo aus der Ferne wohlwollend zunickte.
    »Ich war bei der Hinrichtung zugegen.« Ihre Lippen formten die Worte so sichtbar, als spräche sie zu einem Tauben.
    Faliero räusperte sich und verspürte den Drang, sein Urteil zu rechtfertigen. »Die stumme Sünde ist ein schweres Vergehen, das viel Unheil über Venedig bringen kann. Also musste der Übeltäter als Sühne im Wasser hingerichtet werden. Es gab schon schlimme Fluten in unserer Stadt. Wie jeder weiß, straft Gott damit Kinderschändung und Sodomie.«
    Ihre Hand schwebte auf seinen Arm herab. »Ich meine doch nicht den Sodomiten. Ich spreche von der Hure – und dem Hurensohn, der es gewagt hatte, eine Verschwörung gegen den Dogen anzuzetteln.«
    Hatte sie tatsächlich
Hurensohn
gesagt? Faliero empfand die Berührung ihrer Hand wie eine Liebkosung. Was ist los mit dir, Marino?, dachte er, lässt du dich von einem sechzehnjährigen Gör aus der Ruhe bringen? Sie könnte deine Tochter sein – ach, was – deine Enkelin! Unter der Maske brachte er ein gequältes Lächeln zustande. »Ganz Venedig sollte sehen, was mit einem geschieht, der ein Komplott gegen unseren Dogen schmiedet. Ein glühender Thron und die auf den Kopf genagelte Krone erschienen mir dafür als geeignete Demonstration.«
    »Sehr symbolträchtig. Ebenso die Strafe für die Frau.«
    »Auch die Hure musste als Verräterin ihre gerechte Strafe erhalten.«
    »Es war beeindruckend. Eine lebende Frau in Glas gegossen. Habt Ihr Euch das Schauspiel selbst ausgedacht?«
    Faliero nickte. Als dabei ihre Schnäbel zusammenstießen, lachte Aluicha. Es klang wie klirrendes Glas.
    »Ich wusste es. Ein gewöhnlicher Mann käme nie auf eine solche Idee.« Die Bewegung, mit der sie die Maske abnahm, kam ihm unwirklich vor. Ihr Hochmut änderte für ihn nichts an der überirdischen Schönheit ihres Gesichts. Das Weiß ihrer Haut war makelloser als das Alabaster der Schalen im Atrium. Faliero musste sich eingestehen, dass er vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben nicht aus Berechnung schwieg. Ihm fehlten schlicht die Worte.
    »Darf ich Euch etwas fragen?«
    Er nickte.
    »Man sagt, die Hure war Eure Geliebte?«
    Wieder schwieg er, obwohl die Frage aus dem Mund dieser Sechzehnjährigen eine Frechheit, eine Anmaßung war. Doch sie fuhr schon fort, als hätte sie gar keine Antwort erwartet. »Ich habe Euch beobachtet. Als sie auf Euren Befehl hin starb – auf, wie ich finde, grausame Weise –, wart Ihr nach außen hin völlig ungerührt. Wart Ihr es wirklich? Oder habt Ihr sie gar nicht geliebt? Was habt Ihr empfunden?«
    Genau dieselben Fragen hatte Faliero sich auch gestellt – vor der Hinrichtung und als alles vorüber war. Zu welchem Ergebnis war er gekommen? Hatte er sie geliebt? Die klare Antwort war
ja
. Auf seine Weise. Ein Raubtier in der Gestalt einer Frau. Kühl und berechnend im einen Moment, heiß wie Feuer im nächsten. Beides hatte er bewundert – ihre Kaltschnäuzigkeit, ihren Egoismus –, sie konnte eiskalt morden, wenn sie es für angemessen hielt. Ihre Hitze, wenn man es verstand, die Glut in ihrem Innern zu entfachen. Und alles andere: ihre Schönheit, ihr Fleisch, ihre Lust – ihre Fähigkeit, das Animalische zu wecken, das in ihm steckte. Denn er war das gleiche Raubtier – eigentlich wären sie das perfekte Paar gewesen, wenn nicht … ja wenn nicht … Was hatte er empfunden, als sie sich schrill kreischend und jeder menschlichen Würde beraubt unter dem glühenden Glas wand, das der Henker über ihr ausgoss? Diese grausame Ewigkeit, bevor die Glut ihre Schreie erstickte und alles vorüber war? Liebe, Hass, Verzweiflung über den Verlust? Nein. Nichts dergleichen. Im Nachhinein stellte er sich vor, er habe empfunden wie das Meer, das einen Ertrinkenden verschlingt: unnachgiebig, beharrlich, beinahe gütig und wohlwollend, weil die Gesetze der Natur es vorschreiben. Sie

Weitere Kostenlose Bücher