Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
nächtlichen Studium überrascht, beraubt und auf gemeine Weise gemeuchelt worden. Seine Börse und ein hübscher silberner Dolch, den er stetsan seinem Gürtel trug, waren verschwunden, ebenso ein wertvoller Mantel mit Pelzfutter, der auch im Sommer stets an einem Haken im Zimmer hing. Für den Hauptmann bestand überhaupt kein Zweifel: Hier handelte es sich um einen Raubmord. Wahrscheinlich war wieder eine Bande von Gesindel heimlich in die Stadt gelangt, hatte sich nach dem Schließen der Stadttore irgendwo versteckt und war dann zur Tat geschritten. Am Morgen hatten sie die Stadt unerkannt wieder verlassen, und als der Leichnam gefunden wurde, waren sie längst über alle Berge.
Franziska traf Hermann überraschend gefasst an. Er wusste, dass man ihn verurteilen würde. Wenn er Glück hatte, würde man ihn hängen oder ertränken, wahrscheinlich hängen, das war die hierzulande übliche und auch barmherzigste Hinrichtungsart. Bisweilen wurden aber auch andere Arten von Todesstrafen verhängt, die ungleich qualvoller waren und das Opfer nur langsam und unter unsagbarer Pein sterben ließen. Kaltes Grauen stieg in ihm auf, als er an die eine oder andere Hinrichtung dachte, deren Zeuge er im Lauf der Jahre geworden war. Er war sein Leben lang ein mutiger Mann gewesen, nie vor einer Gefahr davongelaufen, doch jetzt hatte er zum ersten Mal in seinem Leben Angst. Mehr als einmal hatte er gesehen, was man mit Zeugen anstellte, die angeblich vor Gericht gelogen hatten. Einer jungen Frau, die kaum sechzehn Jahre zählte und zu Gunsten ihres wahrscheinlich unschuldigen Vaters, eines einfachen Böttchers, ausgesagt hatte, war die Zunge herausgerissen worden, und einem alten, fast blinden Mann hatte man die Lippen zugenäht, ihn in den Kerker geworfen und verhungern lassen. Er war Zeuge von Brandmarkungen und Auspeitschungengeworden und hatte die Folgen von hochnotpeinlichen Befragungen gesehen. Mit diesen Barbareien zogen die Mächtigen das Recht auf ihre Seite, demütigten die Schwächeren und machten sie zu willfährigen Duckmäusern. Würde die junge Franziska in ein Verfahren um Mord und schwere Körperverletzung an Adeligen hineingezogen werden, könnten ihr ebenfalls böse Dinge widerfahren. Auf jeden Fall würde sich die Zunft von ihr abwenden, es wäre das Ende ihrer Schneiderei und sie würde gesellschaftlich geächtet. Er musste Franziska schützen, als gottesfürchtiger Mann hielt er dies ihr, Nele und dem Herrn gegenüber für seine heilige Pflicht. Und die ihm anbefohlene unschuldige Maria, die bis vor kurzer Zeit ein behütetes Leben hinter Klostermauern geführt hatte und nach der Flucht ihrer Brüder alleine auf der Welt war, in einen so schmählichen Prozess hineinzuziehen, war ohnedies völlig undenkbar.
Hermann hatte ausgiebig über seine wenigen verbleibenden Möglichkeiten nachgedacht. Er würde vor Zeugen ein Geständnis ablegen und Siegfried als Lehnsherrn um Milde gegenüber seiner Familie bitten. Nele sollte ihre Mitgift, den Hof Gerhards und die Werkstatt behalten dürfen und auch die Morgengabe, ein gutes Stück Weideland an einem Bach, das eine kleine Pacht einbrachte. Hermanns eigenes Vermögen konnte Siegfried einziehen, er würde es nicht mehr brauchen. Es blieb ihm nichts übrig, als auf die Ehrbarkeit und Anständigkeit des alten Ritters zu hoffen, doch in all den langen Jahren hatte Siegfried sich nie als ungerechter Fürst gezeigt.
Er erzählte Franziska nichts von seinem Plan, untersagte ihr aber strikt, bei der Gerichtsverhandlung zu erscheinen.Lieber solle sie sich um Nele kümmern. Besorgt fragte er, wie seine Gemahlin mit der schrecklichen Situation zurechtkam, und Franziska rannen Tränen über die Wangen, als sie von Neles Mut und Tapferkeit sprach. Hermann hörte schweigend ihre Worte. »Falls irgendetwas Schlimmes geschieht, geht zu Zacharias«, sagte er noch, als Franziska ihn schließlich mit schwerem Herzen verlassen musste.
Wenige Minuten später schickte er nach dem Hauptmann, der sein Vorhaben in Ruhe anhörte. Der Mann sandte umgehend nach dem Schreiber und dem Priester, der Hermann und Nele getraut hatte, die beide das von Hermann unter Gotteseid abgelegte Geständnis aufzeichneten und bezeugten.
*
Horwarth war völlig außer Atem, als er an das Tor von Hermanns Hof pochte, das bereits für den Abend geschlossen war. Der kleine und spindeldürre Junge musste den ganzen Weg von der Burg hierher gerannt sein. Sein Haar klebte nass an seinem Kopf und der
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